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Das Blut der Lilie

Titel: Das Blut der Lilie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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mehr Gitarre spielen kann.
    Ich habe sie mir gestern Nacht verbrannt. Die letzte Rakete
fing Feuer und hob nicht ab. Trotz der lodernden Flammen musste ich sie packen
und vom Dach werfen, bevor sie explodierte.
    Wachen standen unten auf der Straße, als ich von dem
Stalldach kletterte, das ich über eine Regentonne und eine Dachrinne erklommen
hatte. Herunter kam ich, auf dem Hosenboden rutschend, wesentlich schneller,
und versteckte mich dann in dem Stall in einer Kutsche. Auf dem Sitz lag ein
Fellüberwurf. Ich legte mich auf den Boden und zog ihn mir über den Kopf.
Draußen war es Nacht, der Überwurf war dunkel, und die Wachen ließen sich
täuschen, als sie durch das Kutschenfenster blickten. Ich hörte sie, aber sie
sahen mich nicht.
    Dort blieb ich drei Stunden lang mit heftig schmerzender Hand
sitzen. Ich wagte nicht, mich zu rühren oder einen Laut von mir zu geben. Kurz
vor Tagesanbruch, bevor die Stallburschen aufstanden, schlüpfte ich hinaus.
    Amadé arbeitet am Tisch. Als ich eintrete, sieht er zu mir
auf. Sein Blick fällt auf meine rechte Hand. Ich verberge sie hinter dem
Rücken.
    Â»Wie war Ihre Nacht?«, fragt er.
    Â»Herrlich«, antworte ich etwas zu aufgekratzt.
    Â»Wie geht’s Ihrem neuen Freund?«
    Â»Prima.«
    Â»Sieht er gut aus?«
    Â»Oh, Mann. Total.«
    Â»Ist er auch reich?«
    Â»Darauf können Sie wetten.«
    Â»Wo wohnt er?«
    Ich zögere. Bloß einen Moment lang. Aber das reicht. Amadé
ist bereits aufgestanden. Er kommt zu mir herüber, packt meinen Arm und reißt
meine verbrannte Hand hoch. Ich schreie auf.
    Â»Wie seltsam. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich
sagen, Sie riechen nach Schießpulver. Ist Ihr Freund Soldat? Nein? Hmm …
verkauft er Gewehre? Nein? Nun, dann lassen Sie mich mal überlegen … Stellt er
vielleicht Feuerwerkskörper her?«
    Â»Lassen Sie mich«, schreie ich. »Gehen Sie weg!«
    Er lässt mich los, geht aber nicht weg.
    Â»General Bonaparte ist kein nachsichtiger Mann«, sagt er.
»Und soweit ich höre, findet er auch keinen Gefallen an Feuerwerken.«
    Ich erwidere nichts. Ich bin damit beschäftigt, meine Hand
schützend an die Brust zu drücken.
    Â»Sie sind wohl ganz versessen darauf zu sterben«, fährt er
fort. »Ich will Ihnen etwas sagen … Wenn Sie schon unbedingt den Tod finden
wollen, möchten Sie vielleicht einen kleinen Vorgeschmack haben. Den kann ich
Ihnen geben.«
    Er packt meinen Arm – ich heule laut auf – und zerrt mich
durch den Raum, zur Tür hinaus, die Treppe hinab, auf die Straße hinunter.
    Â Â 81  
    Â»Beeilen Sie sich! Das ist das beste Theater in ganz Paris.
    Ich will sichergehen, dass wir in der ersten Reihe Plätze kriegen.«
    Â»Amadé, bitte, lassen Sie mich los.«
    Â»Nein!«, sagt er und zerrt mich gewaltsam weiter.
    Â»Wohin gehen wir?«, frage ich kläglich.
    Â»Zur Place du Trone«, antwortet er. Plötzlich bleibt er
stehen. »Ah! Hören Sie es? Die Overtüre?«
    Ich kann nichts hören. Nur Geschrei. Und Johlen.
    Â»Wir sind fast da. Kommen Sie.«
    Ich folge ihm. Ich habe keine andere Wahl. Er hält mit
eisernem Griff mein Handgelenk umklammert. Wir gehen die Rue Charlot hinauf. Am
Temple-Gefängnis vorbei. Das Gedränge auf den Straßen nimmt zu. Die Leute
scheinen in Festtagsstimmung zu sein. Alle lachen, singen und umarmen einander.
    Amadé zieht mich durch die Menge, an Zeitungsjungen vorbei,
die ihre Blätter anpreisen, und an Mädchen, die Kuchen feilbieten. Wir nähern
uns dem Platz, aber ich habe immer noch keine Ahnung, warum die Menschen hier
zusammenströmen.
    Er bringt mich zu Duvals Kaffeehaus. »Ich kenne den Besitzer.
Er lässt mich für einen Franc auf sein Dach«, sagt er.
    Wir gehen drei Treppen hinauf. Amadé zerrt mich hinter sich
her und drängt sich zum vorderen Dachrand durch. Und dann sehe ich, warum er
mich hierhergebracht hat. Warum all die Leute hierhergekommen sind. In der
Mitte des Platzes steht eine Guillotine.
    Â»Verdammter Mist, nein!«, sagte ich erschrocken.
    Er klopft mir auf den Rücken. »Verdammter Mist, ja!«,
erwidert er. »Sie haben die Klinge zweifellos schon bei der Verrichtung ihrer
Tätigkeit gesehen. Wer hat das nicht? Aber ich wage zu behaupten, noch nie aus
so großer Nähe. Bei Duval hat man den bestmöglichen Blick, der jeden Sou

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