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Das Blut der Lilie

Titel: Das Blut der Lilie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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der einen Fisch putzt, sieht mich an, aber ich bin schon zur
Tür hinaus, bevor er ein Wort sagen kann.
    Auf der Straße errege ich keine Aufmerksamkeit mehr.
Vermutlich weil ich inzwischen genauso schmutzig bin und genauso stinke wie
alle anderen. Ich verlangsame meine Schritte und riskiere einen Blick aufs Foy
zurück. Niemand folgt mir.
    Ich blicke zu den Fenstern des Palais über dem Restaurant
hinauf. Benoît wird heute Abend dort oben sein und mit einem Stock in jedem
Kamin herumstochern.
    Aber der Schatz ist fort. Und der kleine Spatz auch.
    Und ich werde in der Kolonnade auf Fauvel warten.
    Â Â 79  
    Ich wünschte, mein Handy würde funktionieren. Aber ich würde
nicht gleich den Notruf wählen, damit jemand käme, um mich aus dem achtzehnten
Jahrhundert zu retten. So gern ich das auch sofort täte. Ich würde zuerst
Nathan anrufen.
    Â»Nathan, Sie werden es nicht glauben«, würde ich sagen, »aber
ich bin im achtzehnten Jahrhundert. Ich höre Händel, auf Instrumenten des
achtzehnten Jahrhunderts, von Händen des achtzehnten Jahrhunderts gespielt, in
Räumen des achtzehnten Jahrhunderts. Es ist umwerfend, Nathan. Es geht einem
unter die Haut, genau wie Alex sagte, und ändert den Schlag des eigenen
Herzens.«
    Und dann würde ich das Telefon hochhalten, damit er es hören
könnte. Diesen Klang. Diese Musik. Und ihm würden Tränen kommen beim Zuhören.
Das weiß ich. Weil es mir so geht.
    Amadé hat mich hierher gebracht. Wir sind in einem Haus in
Saint-Germain. Bei einem Ball der Opfer. Es ist ein bezahlter Auftritt. Er
spielt und hat mich mitgenommen, damit ich für einen erkrankten Gitarristen
einspringe. Ich trage ein altes Hemd und einen von Amadés Anzügen und habe mein
Haar zum Pferdeschwanz gebunden. Er hatte mein Gesicht und meine Haare gepudert
und stellte mich den anderen als einen Freund vom Land vor.
    Â»Der Gastgeber, LeBon, mag Lully und Bach, und deren Werke
spielen Sie gut«, hatte er gesagt.
    Jetzt sitze ich mit meiner Gitarre auf dem Schoß da, während
die anderen Musiker die Hornpassage in der zweiten Suite der Wassermusik abrocken.
Die Streicher sind wie eine Klangmauer. Die Trompeten schmettern, dass fast das
Dach abhebt. Die Pauke donnert viel zu laut, der Harfenist zupft sich die
Finger wund. Es ist unglaublich.
    Die letzten Noten verklingen und erscheinen mir umso schöner,
weil ich weiß, dass ich sie so nie mehr hören werde. Es gibt keine Möglichkeit,
sie einzufangen, sie festzuhalten. Nichts bringt sie je wieder zurück.
    Die Musiker beenden ihr Spiel. Das Publikum applaudiert.
Jemand ruft nach einem Menuett, und wir – ein kleines Orchester von etwa
zwanzig Mann – erfüllen den Wunsch. Ich spiele mit bei dem Stück. Herren und
Damen stehen einander gegenüber. Sie verbeugen sich und machen Knickse. Hier
herrschen keine Kleidervorschriften republikanischer Nüchternheit. Die Damen
tragen glänzende Seidengewänder, die Herrn bunte, bestickte Gehröcke.
    Â»Hier können sie all die Dinge wieder tragen, die sie während
Robespierres Herrschaft auf dem Dachboden versteckten«, hatte mir Amadé bei
unserer Ankunft erklärt.
    Es ist eine seltsam psychedelische Szenerie. Jeder hat ein
rotes Band um den Hals. Der Tanz beginnt, sie bewegen sich aufeinander zu, dann
nicken sie auf eine komisch ruckartige Weise, was so aussehen soll, als fiele
ein abgeschlagener Kopf vom Rumpf. So geht es etwa zehn Minuten weiter. Nachdem
es vorbei ist, machen wir eine Pause. Wir haben insgesamt mehr als zwei Stunden
gespielt und müssen etwas essen und uns die Beine vertreten.
    Ich nehme mir ein Hühnerbein von einem langen, mit Essen
bedeckten Tisch und stelle mich in eine Ecke, um es abzunagen. Wohin ich auch
blicke, sehe ich Brüste aus Dekolletés hervorquellen. Miniaturporträts von
geliebten Menschen, die hingerichtet wurden, sind an die Kleider geheftet, an
turmhohen Perücken befestigt oder auf Tischen aufgestellt. Neben mir beißt eine
Frau in eine Erdbeere. Der Saft läuft ihr übers Kinn. Ein Mann leckt ihn ab.
Ein stinkender Terrier döst auf einem mit Seide bezogenen Stuhl. Mädchen
verstecken sich lächelnd hinter hübschen Fächern. Ein Mann pinkelt in die Ecke.
Ein Papagei fliegt durch den Raum und lässt eine Ladung Scheiße auf jemandes
Schulter plumpsen. Der Gastgeber humpelt mit einem Stock in der Hand hinter ihm
her und

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