Das Blut der Lilie
Fraternity
Are for the boys in the Sixth
Not for me.
deutsche Ãbersetzung am Ende des Buchs
  24 Â
Er ist fertig. Das Publikum pfeift und johlt. Es hat
funktioniert. Auf irgendeine verflixte Weise hat es funktioniert. Alle lachen.
Sogar ich. Jules nimmt einen leeren Brotkorb und reicht ihn herum. Er kommt mit
Münzen und Scheinen zurück. Wir spielen noch ein paar Songs. Einige sind von
Virgil â Stücke, die Jules kennt, und ich gebe mein Bestes, um mitzuhalten. Einige
sind Cover-Versionen, die wir alle kennen. Nach einer Stunde etwa lassen wir
erneut den Korb herumgehen und machen dann Pause, damit Virgil essen kann.
»Das ist gutes Geld. Wir sollten das wieder machen«, sagt
Jules und verteilt die Einnahmen. »Hey, Rémy«, ruft er, »wir sind am Sonntag
wieder hier.«
»Ich verständige die Medien«, antwortet Rémy.
»Seid ihr beiden dabei?«, fragt Jules.
Virgil sieht mich an und sagt Ja.
»Andi?«, fragt Jules.
Ich blicke zu Virgil zurück. In seine warmen braunen Augen.
»Ãhm, ja«, antworte ich. »Wenn ich noch hier bin. Könnte sein, dass ich am
Sonntag zurückfliege.«
Virgil wendet sich ab und sieht auf seine Uhr. »Ich muss
los«, sagt er und schlingt den Rest seines Gulaschs hinunter. »Bleibst du noch,
Jules?«
Jules schüttelt den Kopf. »Ich muss morgen arbeiten.«
»Wie stehtâs mit dir?«
»Ich gehe auch«, antworte ich.
»Wie?«
»Mit der Métro.«
Er sieht auf seine Uhr. »Fast Mitternacht. Das ist zu spät
für die Métro. Ich bring dich.«
»Und was ist mit mir?«, fragt Jules.
»Du wohnst zwei StraÃen weiter. Geh zu FuÃ.«
Vor dem Lokal küsst mich Jules zum Abschied auf die Wange und
schärft mir ein, die Verabredung am Sonntag nicht zu vergessen.
»Mein Wagen steht dort drüben«, sagt Virgil und deutet auf
einen verbeulten blauen Renault. An der Seite ist ein Aufkleber. EPIC TAXI â WÃHLEN
SIE 01 FÃR ABENTEUERFAHRT steht
darauf.
Wir steigen ein, und er fragt mich, wo ich wohne. Ich nenne
ihm die Adresse und frage ihn, wie lange seine Schicht dauert.
»Von Mitternacht bis acht Uhr morgens.«
»Das ist hart.«
»Ach, gar nicht so schlimm. Ich gehe heim, schlafe und nutze
die Nachmittage, um an meiner Musik zu arbeiten.«
»Kannst du tagsüber schlafen?«
»Ganz gut. Meine Schwester und mein Bruder sind in der
Schule. Meine Eltern bei der Arbeit.«
»In deiner Familie sind alle â¦Â«
»Franzosen. Wir sind alle Franzosen. Ich bin Franzose. Alle
anderen sind Franzosen«, unterbricht er mich gereizt.
»Ãhm, wirklich? Ich wollte eigentlich âºMusikerâ¹sagen.«
»Tut mir leid«, entschuldigt er sich, und seiner Stimme ist
anzuhören, dass er es aufrichtig meint. »Es ist einfach ⦠schwierig.«
»So viel hab ich mitgekriegt. Von Banloser.«
»Ich bin in Paris geboren. Meine Eltern kamen als Kinder aus
Tunesien hierher, aber sie sind noch immer Ausländer. Araber. Gesindel.
Abschaum. Wir sind das, was in diesem Land nicht in Ordnung ist, und so wird es
bleiben.«
»Wie heiÃt du? Mit ganzem Namen, meine ich?«
»Virgil Walid Boukadida. Und du?«
»Diandra Xenia Alpers.«
»Wow.«
»Du kannst mich Andi nennen.«
»Darauf kannst du Gift nehmen.«
»Drückst du dich immer so aus?«, frage ich und sehe ihn an.
»Meine Mutter lehrt klassische Literatur«, erwidert er
lachend. »Ihr Lieblingsdichter ist Vergil.«
Im Radio sind plötzlich die Decemberists zu hören â Grace Cathedral Hill. Wir
greifen beide gleichzeitig zum Lautstärkeknopf. Seine Hand streift die meine.
»Tut mir leid«, sagt er. Mir tut es nicht leid.
Der DJ spielt zwei weitere Songs aus Castaways and Cutouts. Wir
schweigen. Hören bloà zu. Die meisten Leute können das nicht â einfach den Mund
halten und zuhören. Ich schlieÃe die Augen und greife ein paar Akkorde in der
Luft. Es ist so unglaublich schön, dieses Album. Als es vorbei ist, behauptet
Virgil, Picaresque sei
besser. Das kann ich so nicht stehen lassen, also streiten wir, bis Reckoner einsetzt
und wir wieder schweigen. Nachdem der Song vorbei ist, fragt er mich, ob ich je
Radiohead auf der Bühne gesehen hätte. Das hätte ich, antworte ich, und dass
ihr neustes Album total stark sei.
»Du hast es?«, fragt er aufgeregt.
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