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Das Blut der Lilie

Titel: Das Blut der Lilie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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einem Unterlippenbärtchen. Er hat hohe Wangenknochen, hellbraune Haut
und Augen so dunkel und warm wie Kaffee. Er zieht sich einen Barhocker unter
dem Tresen hervor und setzt sich neben Jules.
    Â»Was machst du hier? Gehst du in die Kats heute Abend?«,
fragt ihn Jules.
    Â»Nein, ich arbeite. Bin bloß reingekommen, um dich spielen zu
hören.«
    Â»Die Kats?«, frage ich verwundert.
    Â»Die Katakomben«, erklärt Jules. »Virgil ist ein ganz großer
Kataphile.«
    Ich weiß, was die Katakomben sind, aber ich habe noch nie von
einem Kataphilen gehört. »Hört sich irgendwie illegal an«, sage ich.
    Â»Höchst illegal«, antwortet Virgil. »Wir gehen nachts in die
abgesperrten Bereiche und versuchen, neue Tunnel zu kartieren. Neue Räume zu
finden. Gefährlich ist das bloß, wenn man sich nicht auskennt. In erster Linie
ist es ein großer Spaß.«
    Â»Dunkle Tunnel und tote Menschen …«, sage ich, »… hört sich
nach einem Riesenspaß an.«
    Â»Wann beginnt deine Schicht?«, fragt ihn Jules.
    Â»Um Mitternacht«, antwortet Virgil. Er erzählt uns, dass er
schon früh in die Stadt gekommen sei. Es habe wieder Schwierigkeiten gegeben.
Zwischen irgendwelchen Jugendlichen und der Polizei. Er wollte deshalb noch vor
Einbruch der Dunkelheit aus seinem Viertel raus. Bevor einer was mit seinem
Wagen anstellt.
    Mir erklärt er, dass er Taxifahrer sei und mit seinen Eltern
in einer Cité ,einer
Sozialsiedlung, wohne und zwar in der Banlieu, also einem Vorort,
namens Clichy-sous-Bois, etwa zehn Kilometer vom Zentrum entfernt. Ich habe von
Clichy gehört. Es ist eine schwierige Gegend, wie viele der Vororte. Vor
einigen Jahren wurden dort zwei Jungen bei einer Polizeirazzia getötet. Danach
kam es zu tagelangen Krawallen.
    Â»Ich dachte, die Schwierigkeiten sind vorbei«, sage ich.
    Er schüttelt den Kopf. »Die gehen nie vorbei.« Er wechselt
das Thema. »Woher bist du?«
    Â»Aus Brooklyn.«
    Seine Augen leuchten auf. »Kennst du Jay-Z?«
    Â»Ã„hm, nein. Wir bewegen uns nicht unbedingt in denselben
Kreisen, Jay und ich. Warum? Bist du Rapper?«
    Â»Ich bin ein Hip-Hop-Master«, antwortet er.
    Â»Er ist ein Hip-Hop-Desaster«, sagt Jules.
    Virgil macht eine wegwerfende Handbewegung. »Ich schreibe
mein eigenes Zeug«, erklärt er. »Es ist ein Mix. Hip-Hop. World. Funk. Roots.
Alles drin.«
    Â»Hast du einen Vertrag?«, frage ich.
    Er schüttelt den Kopf. »Ich möchte mit einem eigenen Label
rauskommen.«
    Jules grinst. »Guter Plan. Weil Cash Money dich nicht will.«
    Virgil ignoriert ihn. »Wenn ich mein eigenes Label habe, lege
ich mir einen eigenen Club zu. Und starte eine Restaurantkette, und ein
Modelinie.«
    Â»Ist das alles? Bloß nicht kleckern, lieber klotzen, was?«,
frage ich. »Wie wär’s mit einer Airline? Einem eigenen Basketballteam? Einem
Kabelsender? Und du brauchst natürlich auch eine Villa auf den Hamptons, wenn
du mit Jay abhängen willst.«
    Â»Stimmt genau«, antwortet Virgil. »Sobald ich die habe, bist
du eingeladen. Und der …«, er deutet mit dem Daumen auf Jules, »wird auch da
sein. Um meine Autos zu parken.«
    Ich lache. Es klingt irgendwie eingerostet. Wie der Blechmann
im Zauberer von Oz, bevor Dorothy ihn ölt. »Und deine Texte sind französisch
oder englisch?«, frage ich.
    Er schnaubt. »Wie viele französischen Hip-Hop-Künstler fallen
dir ein?«
    Â»Es gibt Joey Starr …«
    Â»Wen noch?«
    Â»Ja … ähm …«
    Â»Siehst du. Bevor Weezy nicht anfängt auf Französisch zu
rappen, rappe ich auf Englisch.«
    Er fragt mich, ob ich je Team Robespierre gesehen hätte.
Fischerspooner. Spooky Ghost. Und eine Reihe anderer obskurer Brooklyner Bands,
die man nicht mal in Brooklyn kennt.
    Â»Fischerspooner?«, frage ich, erneut lachend. »Woher kennst
du die denn?«
    Â»Er kennt jeden Song, der je geschrieben wurde«, sagt Jules.
»Du solltest sein Zimmer sehen, CD s vom Boden bis
zur Decke. Er hat die abgefahrenste Musik, die es gibt. Jagdlieder aus Somalia.
Mönchsgesänge aus den Karpaten. Zirkusmusik aus den Zwanzigern. Ragga. Zouk.
Marschkapellen aus Tennessee. Du brauchst bloß zu sagen, was du hören willst –
er hat’s.«
    Â»Warum?«, fragte ich wirklich interessiert.
    Virgil zuckt die Achseln. »Ich suche nach

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