Das Blut der Lilie
wegen gestern. Ich bin nicht immer so ein Arschloch«, sage ich. »Die
meiste Zeit zwar schon, aber nicht immer.«
Ich höre ein leises Lachen, dann sagt er: »Ich rufe an, weil
ich deinen iPod habe. Ich hab vergessen, ihn dir zurückzugeben, als ich dich
gestern abgesetzt habe. Ich wollte nicht, dass du ausflippst, wenn duâs bemerkst,
also hab ich die Nummer angerufen, die hinten drauf steht. Ich dachte, das muss
dein Handy sein.«
»Wow. Ich hab noch nicht mal mitbekommen, dass er weg ist.
Danke. Wirklich. Mein ganzes Leben ist auf diesem Ding.« Das stimmt
tatsächlich. Jede CD von jeder Band, die ich mag,
ist dort drauf, genauso wie die CD s von jedem
Musiker, egal ob lebend oder tot, den Nathan je erwähnt hat.
»Ja, ich weië, sagt Virgil. »Ich hoffe, es macht dir nichts
aus, aber letzte Nacht hab ich alles abgehört. Während meiner Schicht. Das
Radio ist oft nicht zu ertragen, und die Songs auf meinem eigenen iPod hängen
mir inzwischen zum Hals raus.«
»Kein Problem«, sage ich, hoffe aber inständig, dass er einen
bestimmten Song nicht gehört hat â¦
» Plaster
Castle «, sagt er. »Das hat mich wirklich umgehauen.«
Mist.
»Das ist gut. Richtig gut«, sagt er.
»Echt?«, frage ich und bemühe mich um einen lockeren Tonfall.
»Mein Musiklehrer hat es als lärmigen Mischmasch bezeichnet.«
Vigil lacht. »Das ist es auch.«
»Hey, vielen Dank.«
»Du hast es eindeutig übertrieben mit dem Loop-Pedal und was
die ganzen verschiedenen Taktarten angeht, hättest du es auch etwas langsamer
angehen lassen können, vor allem bei Girl In A Tower und Lock It Up â¦Â«
Das peinliche Gefühl lässt ein bisschen nach, vor allem weil
ein gutes, starkes Du-kannst-mich-mal an seine Stelle tritt. »Komisch, ich kann
mich gar nicht erinnern, dass ich dich gebeten hätte â¦Â«, beginne ich.
Er unterbricht mich: »⦠aber dieser eine akustische Song â Iron Band â Wahnsinn.
Ich meine, der ist toll, schreib ihn fertig. Der ist wirklich klasse. Ich würde
sagen, fast perfekt.«
Einen Moment herrscht Schweigen zwischen uns, dann sagt er:
»Also ⦠was ist passiert? Ich meine, Broken Clock und Little Prince â
solche Songs sind dir doch nicht einfach so zugeflogen.«
Nein, sind sie nicht. In beiden geht es um Truman. Und ich
will weder über ihn sprechen, noch darüber, was mit ihm passiert ist. Nicht mit
Virgil. Mit niemandem.
»Andi? Bist du noch dran?«
»Ãhm, hör zu ⦠ich muss los. GroÃer Tag in der Bibliothek,
verstehst du? Und ich hab nichts anzuziehen.«
Wieder einen Moment Schweigen, dann: »Tut mir leid. Schätze,
jetzt bin ich das Arschloch.«
Aus irgendeinem Grund bringt mich das zum Lachen. »Danke,
dass du deinen Teil beisteuerst«, sage ich. »Das setzt mich weniger unter
Druck.«
Wir besprechen, wie ich wieder zu meinem iPod komme, und
Virgil meint, er könne ihn mir am Sonntag geben. Wenn ich zu Rémy käme. Ich
erkläre ihm, dass ich wahrscheinlich nicht kommen könne, weil ich an diesem
Abend heimfliegen müsse.
»Okay, na schön, dann finden wir eine andere Möglichkeit.
Vielleicht kann ich ihn während meiner nächsten Schicht vorbeibringen«, sagt
er. »Ich muss jetzt auch los.«
Plötzlich höre ich verrückte Musik aus dem Handy. »Was ist
das?«, frage ich.
»Keine Ahnung. Irgendein knallrosa Typ mit einem groÃen
fetten Arsch.«
»Was?«
»Er ist in meinem Wohnzimmer.«
»Ãhm, bist du besoffen oder was?«
»Im Fernsehen, meine ich. Das ist die Lieblingssendung meines
kleinen Bruders. Er ist Amerikaner. Vielleicht kennst du ihn.«
»Wen? Deinen Bruder?«, frage ich total verwirrt.
»Nein, den fetten Typen. Er hat kurze Arme und groÃe weiÃe
Zähne.«
»Ist das eine Kindersendung?«
»Es sagt immer, dass er mich liebt. Und dass ich ihn liebe.
Obwohl wir in Wahrheit nie zusammen ausgegangen sind. Ich kenne ihn nicht mal.
Er ist eine Eidechse, glaube ich. Bernie.«
Ich fange an zu lachen und kann nicht mehr aufhören. Nach
einer Minute oder so kriege ich mich wieder ein. »Du meinst Barney? Das ist ein
Dinosaurier.«
»Tut mir leid«, antwortet Virgil. »Ich bin müde. Ich rede
Blödsinn.«
Er schläft tagsüber. Das habe ich vergessen. Seine Schicht
war vermutlich vor etwa einer
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