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Das Blut der Lilie

Titel: Das Blut der Lilie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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seine Arbeit über das menschliche Genom den
Nobelpreis erhielt, in Anspruch genommen sowie die des bedeutenden französischen
Historikers Guillaume Lenôtre – Autor des hochgelobten Sachbuchs Freiheit über die Französische Revolution. Wir schätzen uns glücklich, diese beiden
Wissenschaftler heute Abend bei uns zu haben. Bitte begrüßen Sie sie.«
    Es folgt Applaus, dann sagt Jean-Paul: »Professor Lenôtre,
beginnen wir mit Ihnen. Erzählen Sie uns die Geschichte des Herzens. Warum hat
sich der Mémorial de France dieser Sache angenommen?«
    Â»Das Engagement des Mémorial begann in den siebziger Jahren,
als Nachkommen von Don Juan Carlos de Bourbon, dem früheren Herzog von Madrid
und entfernten Verwandten von Ludwig XVI ., das
Herz der Vereinigung übergaben«, beginnt G. »Sie erklärten, es sei 1895 in den
Besitz ihrer Vorfahren gelangt, und sie glaubten, es habe Ludwig XVII . gehört, dem kleinen Sohn von Ludwig XVI . und Marie Antoinette.«
    Â»Die während der Revolution beide gefangen genommen und
hingerichtet wurden«, fügt Jean-Paul hinzu.
    Â»Ganz richtig. Nachdem seine Eltern getötet worden waren,
blieb Louis Charles im Gefängnis, und zwar unter Aufsicht eines brutalen
Menschen namens Antoine Simon – Schuhmacher und Mitglied einer der damals
herrschenden Parteien.«
    Â»Warum blieb der Junge im Gefängnis?«
    Â»Vielleicht sollten wir das nicht anschauen, Andi«, sagt
Lili, die sich wahrhaft Mühe gibt, G. zu übertönen – keine leichte Aufgabe –,
der gerade Jean-Pauls Fragen beantwortet und Louis Charles Leben in der Haft
beschreibt. »Bist du sicher, dass du dir das ansehen willst?«
    Â»Ja. Ist schon gut, Lili.«
    Ich möchte weiter zuhören. Ich will Bescheid wissen. Das Herz
ist nicht mehr bloß ein ergreifendes Foto für mich. Sondern real. Ich lerne den
kleinen Jungen gerade kennen, dem es vielleicht gehört hat. Und das Mädchen,
das für ihn sorgte. Für ihn kämpfte. Auf sein Wohlergehen bedacht war.
    Â»â€¦ und er wurde tatsächlich bei lebendigem Leib eingemauert«,
sagt G.
    Â»Mein Gott, wie entsetzlich«, erwidert Jean-Paul.
    Â»Ja, das war es.«
    Â»Hat ihm denn niemand geholfen?«
    Â»Es sickerte schließlich durch, unter welchen Bedingungen er
gefangen gehalten wurde, aber jeder, der diese Form der Behandlung kritisierte,
riskierte sein eigenes Leben.«
    Â»Warum?«
    Â»Ich gebe Ihnen ein Beispiel«, sagt G. »Nachdem Robespierre
1794 gestürzt war, wurde erlaubt, dass ein Arzt den Jungen besuchte. Er hieß
Pierre Joseph Desault. Laut seinen Aufzeichnungen suchte er die Zelle auf und
fand – ich zitiere – ›ein Kind, das wahnsinnig geworden ist, im Sterben liegt,
ein Opfer äußersten Elends und schlimmster Vernachlässigung, das durch die
grausamste Behandlung der Verrohung preisgegeben wurde‹. Der Junge war
verdreckt, in Lumpen gekleidet und mit Geschwüren bedeckt. Er konnte nicht mehr
stehen und kaum mehr sprechen. Desault, ein gütiger Mann, war entrüstet über
Louis Charles’ Behandlung und äußerte sich entsprechend. Tatsächlich nannte er
es ein Verbrechen. Kurz nach diesen Äußerungen wurde er zu einem Essen
eingeladen, das die regierende Partei abhielt. Ein paar Tage später war er tot.
Vergiftet.«
    Â»Wurden diejenigen, die dafür verantwortlich waren, zur
Rechenschaft gezogen?«, fragt Jean-Paul.
    G. lacht. »Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass die
Verantwortlichen die Machthaber waren. Sie dürfen nicht vergessen, dass
Frankreich damals eine sehr schwierige Zeit durchmachte. Wir reden vom Tod und
von der Wiedergeburt einer Nation. Das Land hatte sich von einer Monarchie in
eine Republik verwandelt und dafür eine lange und blutige Revolution durchleben
müssen. Viele hassten den früheren König und seine Familie noch immer. Also war
es unklug, Mitleid zu zeigen für dieses königliche Kind.«
    Â»Was ist aus ihm geworden?«
    Â»Er starb, sehr elend, im Alter von zehn Jahren. Eine
Autopsie wurde durchgeführt, und einer der amtierenden Ärzte, Philippe-Jean
Pelletan, nahm das Herz an sich.«
    Â»Um es nach Saint-Denis zu bringen. Weil das die Tradition so
verlangte, nicht wahr?«, fragt Jean-Paul. »Vor der Revolution wurden die Herzen
der toten Könige stets einbalsamiert und in die Basilika von

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