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Das Blut der Lilie

Titel: Das Blut der Lilie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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Teufelei und Mord. Er ging hin und her, verteilte Münzen
und drängte die Menschen, aufzustehen und ihre Piken und Knüppel zu ergreifen.
Einmal blickte er in meine Richtung und seine Augen, die schwärzer waren als
die Mitternacht, ließen mein Blut gefrieren. Kurz darauf reichte er einigen
Garden auf der anderen Seite eine Börse durch den Zaun. Zu spät wurde mir klar,
war er tat – er bestach sie, damit sie die Tore öffneten. Ich rief um Hilfe,
aber meine Stimme ging unter im Gebrüll des Mobs.
    Tötet sie!, schrie eine Frau, als sie durch die Tore
rannte. Tötet die Königin! Reißt ihr das Herz heraus!
    Tötet sie alle!, schrie eine andere.
    Ich war fast besinnungslos vor Angst. Ich lief durch
die Tore, über den Innenhof in den Palast. Ein großer Teil des Mobs war vor
mir, ein anderer war mir dicht auf den Fersen. Glücklicherweise glaubten sie,
ich wäre eine von ihnen. Sie rannten die Treppe der Königin hinauf, ich
hingegen hatte mich wieder gefasst und lief außen herum durch einen schmalen
Gang zu den Gemächern des Dauphins hinab. Gewehre wurden auf mich gerichtet,
als ich eintrat, aber der Hauptmann erkannte mich und hielt seine Männer
zurück.
    Sie sind in den Palast eingedrungen!, rief ich.
    Er packte mich grob. Wo?
    Auf der Treppe der Königin. Schnell!
    Er lief ins Schlafgemach des Dauphins und schlug die
Decke zurück. Louis Charles wachte erschrocken auf. Er sprang aus dem Bett und
kroch darunter. Der Hauptmann versuchte, ihn hervorzuziehen, aber der Junge
heulte, trat nach ihm und wollte nicht herauskommen. Aus dem oberen Stockwerk
hörte man Schreie und einen Gewehrschuss.
    Hol ihn hervor!, schrie der Hauptmann mich an.
    Ich kniete mich neben das Bett. Louis Charles, komm
heraus, sagte ich. Du musst jetzt herauskommen.
    Das werde ich nicht. Sag dem Gardisten, er soll
weggehen!
    Er ist kein Gardist, sondern ein Generalmajor, erwiderte
ich, um ein Spiel daraus zu machen. England steht an unseren Grenzen. Wir
müssen zurückweichen.
    Daraufhin steckte Louis Charles den Kopf heraus.
Schurke!, rief er. Ein Prinz von Frankreich weicht niemals zurück!
    Das tun wir nur auf Befehl des Königs, mein General,
sagte ich. Wir sind zahlenmäßig unterlegen, aber in Harfleur wartet Verstärkung
auf uns.
    Weitere Schüsse. Dann Schreie.
    Verdammt! Dafür ist jetzt keine Zeit!, brüllte der Hauptmann.
    Ich ging auf alle viere und spielte das Pferd. Louis
Charles kroch unter dem Bett hervor und sprang auf meinen Rücken. Ich griff
nach einer Kerze auf seinem Nachttisch und reichte sie ihm.
    Kompanie, zieht euch zurück!, rief er und fuchtelte mit
der Kerze in der Luft herum wie mit einem Schwert.
    Rasch verließen wir die Kammer, mit Gardisten vor und
hinter uns, und liefen die Dienstbotentreppe hinauf in den Spiegelsaal. Wieder
hörte ich Schüsse. Das Geräusch von splitterndem Glas. Als ich aus dem Fenster
blickte, sah ich, dass eine Wache erschossen, eine andere erdolcht worden war.
Auf einer Pike steckte ein Kopf, um den kreischende Frauen einen Rigaudon
tanzten.
    Der Hauptmann blieb vor einem Spiegelpaneel stehen und
schlug dagegen. Ich dachte, er sei verrückt, bis ich die Türangeln entdeckte.
Ihre Majestät!, schrie er. Hier ist Hauptmann Barère! Ich bringe den Dauphin,
Majestät, bitte öffnen Sie die Tür!
Er trommelte erneut dagegen, bekam aber keine Antwort. Wir müssen es auf andere
Weise versuchen. Schnell!, bellte er und scheuchte uns ans andere Ende des
Saals.
    Dort schickte er drei Männer durch den Ausgang voraus.
Sie kehrten sofort zurück. Das bringt nichts, sagte einer. Sie sind in den
Empfangsräumen.
    Wir versuchten, den Weg wieder zurückzugehen, den wir gekommen
waren, aber vom anderen Ende des Saals drangen Rufe und Schreie herüber. Wir
saßen in der Falle. Vergoldete Nymphen starrten uns ausdruckslos an, als wir
rasch kehrtmachten. Gemalte Götter sahen ungerührt auf uns herab. In den
Spiegeln wurde tausend Mal unser Bild reflektiert – ein Dutzend Gardisten und
ein Mädchen in Reithosen, scheinbar von einem kleinen Jungen mit einer Kerze
kommandiert.
    Der Hauptmann befahl seinen Männern, in Stellung zu gehen.
Sie knieten sich links und rechts von uns nieder und hoben die Gewehre. Welche
Chance hatten wir? Einige aus der angreifenden Horde würden bei den ersten
Schüssen fallen, doch wenn die Gardisten nachluden, würde sich der Rest auf

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