Das Blut der Medusa
Gott.« Er blickte auf Sheila, die allmählich ihren Schrecken verlor und auch wieder Farbe bekam.
Sie ging auf den Versteinerten zu und faßte ihn an. Dabei klopfte sie sogar gegen dessen Arm und spürte unter dem Knöchel den harten Widerstand. »Stein!« hauchte sie. »Wie Stein. Du hattest recht, Bill.«
»Es war die Medusa.«
»Aber wo?«
»Im Museum.«
Der Tote war niemandem aufgefallen. Die Besucher schlenderten, gingen oder eilten dem Eingang zu, je nach Temperament. Wien war eingepackt in einen lauen Altweibersommer-Morgen. Der Geruch von Herbstblumen wehte über den Platz. Die Sonne hielt sich hinter den grünen Kronen der Bäume verborgen. Vögel zwitscherten freudig. Der Tag war einfach herrlich. Nur der Tote störte.
Er brachte diesen kalten Hauch aus dem Reich des Todes in die normale Welt.
Bill hob die Schultern. »Ich frage mich, wie es Erich Tarknet geschafft hat, noch nach draußen zu gelangen.«
»Vielleicht hat er die Medusa hier gesehen.«
»Das glaube ich nicht. Es geht einzig und allein um dieses verdammte Bild im Innern.«
Sheila nickte. »Ich meine, Bill, daß jetzt eine Erklärung deinerseits fällig ist. Findest du nicht auch?«
»Ja, das stimmt.«
»Wir sind also nicht rein zufällig nach Wien geflogen?«
Der Reporter lächelte. »Das irgendwie schon«, sagte er. »Als du fliegen wolltest, paßte mir das sehr gut in den Kram. Ich hatte von Erich gehört, was hier passiert war. Daß ein Nachtwächter versteinert ist. Und ich wußte gleichzeitig von John, daß er in Griechenland sich ebenfalls mit dem Fall der Medusa beschäftigt.«
»Hast du denn da einen Zusammenhang gesehen?«
Bill ging einige Schritte zur Seite, und Sheila folgte ihm. »Es wäre natürlich vermessen, hier eine Gemeinsamkeit herstellen zu wollen. Unmöglich ist es auch nicht.«
Sheila schaute zu Boden. Das freudige Lächeln des Morgens war aus ihrem Gesicht verschwunden. Sehr ernst starrte sie zu Boden. »Sollen wir die Polizei anrufen?«
»Nein.«
Sheila überraschte die Antwort. »Was willst du dann machen?«
»Hineingehen.«
Sheila schlug gegen ihre Stirn. »Dann möchtest du auch versteinern, oder wie sehe ich das?«
Bill lächelte. »Das habe ich nicht vor. Andere versteinern auch nicht. Wir können uns das Bild ruhig anschauen.«
»Und weshalb ist dein Kollege zu Stein geworden?«
»Das möchte ich eben herausfinden. Ich hatte vor, es mit ihm gemeinsam zu versuchen. Jetzt sind wir beide allein.«
Sheila fragte: »Du gehst also davon aus, daß ich deine Verrücktheiten mitmache?«
»Willst du nach London?«
»Sicher nicht.«
»Was sollen wir dann deiner Meinung nach tun?«
»Ich möchte mit der Sache nichts zu tun haben. Wir kümmern uns nicht darum.«
»Das geht nicht.«
»Und weshalb nicht?«
»Weil wir einfach drinhängen. Ich sehe es als eine Verpflichtung an, mich um diesen Fall zu kümmern.« Er wechselte das Thema. »Hast du einen Spiegel mit dabei?«
»Sicher. Einen kleinen Schminkspiegel.«
»Das ist gut. Wir werden uns das Bild der Medusa durch einen Spiegel anschauen.«
»Wie Perseus damals, als er ihr den Schädel abschlug.«
»Genau.«
»Bill, das ist doch verrückt. Die Medusa ist tot. Sie ist oder sie war eine Legende.«
»Und Erich Tarknet? Ist sein Ableben auch eine Legende, liebe Sheila?«
»Nein, das nicht.«
»Da haben wir's.«
»Überlasse das anderen Leuten.«
»Wem denn?«
Sheila wußte auch keine Antwort. Sie meinte nur: »Wenn John aus Griechenland zurückgekehrt ist, kann er sich darum kümmern. Wir können auch Suko Bescheid geben, damit er in einer offiziellen Mission nach Österreich reist und die zuständigen Stellen hier unterstützt. Das ist alles möglich, und wir halten uns raus.«
»Dein Vorschlag ist nicht schlecht, Sheila. Er kostet nur Zeit. Die haben wir bestimmt nicht.«
Sie wußte, wann es keinen Sinn mehr hatte, zu widersprechen. Es gab einen Punkt bei Bill, da konnte gesagt werden, was auch immer. Da blieb er stur. Sheila blieb nichts anderes übrig, als ergeben die Achseln zu zucken und sich in das Schicksal zu fügen.
Ihr Mann war bereits vorgegangen. Sheila schaute noch auf ein Plakat, das nachträglich an einem Leiterständer angebracht worden war. Sie sah einen Abdruck des Bildes und unter ihm auch einen entsprechenden Text.
Sheila las halblaut. »Eine griechische Sagengestalt, die jeden versteinerte, der in ihre Augen schaute, verzaubert die Stadt an der Donau.« Das stimmte tatsächlich. Bereits mehr als 200000 Personen
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