Das Blut der Medusa
suchen.«
Clarissa Main überlegte eine Weile. »Vielleicht auch nicht«, sagte sie plötzlich.
»Wie meinst du das?«
»John, ich bin schon länger hier.« Ihre Stimme klang plötzlich aufgeregt. Sie bekam auch rote Wangen. »Es kann noch eine andere Möglichkeit geben. Nicht weit entfernt von hier gibt es eine Insel, die heißt auch Hydra.«
Ich schaute Clarissa in die Augen und begann leise zu lachen.
»Mädchen, das ist es.«
»Wieso?«
»Das ist der Hinweis, das ist die Spur. Das ist hervorragend. Denk mal daran. Eine Insel, die Insel der Toten, von der Stavros gesprochen hat. Kann sie nicht Hydra heißen?«
»Ja, das geht wohl.«
Ich klatschte in die Hände. »Zahlreiche Menschen sind verschwunden, unter anderem auch dein Bruder, Clarissa. Wo kann man sie besser verstecken als auf einer kleinen Insel?«
»So klein ist die gar nicht. Sie liegt aber nicht weit entfernt. Vielleicht zwanzig Kilometer.«
»Wunderbar, das ist zu schaffen.«
»Und wann?«
Ich lächelte sie an. »Morgen schon, Clarissa…«
***
Sie lagen sich gegenüber wie zwei Majestäten!
Zum einen die Staatsoper, dieses ehrwürdige alte Gebäude, in dem die größten Stimmern der Welt schon zu Gast gewesen waren, und zum anderen das ehrwürdige Hotel Bristol, in dem die alte Tradition mit einem hochmodernen Komfort eine saubere Mischung eingegangen war. Auch im Bristol hatte schon viel Prominenz übernachtet, und an diesem herrlichen Septembertag, an dem die Stadt an der Donau vom Sonnenschein verwöhnt wurde, wohnten zwei Gäste aus London in der zweiten Etage, die für eine Woche nach Wien gekommen waren, um den Charme dieser Stadt mal richtig genießen zu können. Es waren Sheila und Bill Conolly, Freunde des Geisterjägers John Sinclair. Häufig waren auch sie schon mit Dämonen und anderen finsteren Wesen konfrontiert worden.
Davon allerdings wollte Sheila nichts wissen, auch nicht in Wien, obwohl Bill der Reise nur so schnell zugestimmt hatte, weil sich in seinem Hinterkopf ein gewisser Gedanke festgesetzt hatte, der nicht einmal eine Idee war, doch er hatte vor John Sinclairs Abflug nach Griechenland noch mit seinem Freund gesprochen.
John war wegen einer bestimmten Sache in die Ägäis gereist. Es war um verschwundene junge Männer gegangen, von denen man einen als Versteinerten gefunden hatte. Versteinert, als hätte er in das Atlitz einer Medusa geschaut.
Und in Wien gab es ebenfalls eine Medusa. Dieses Bild war der Mittelpunkt einer Ausstellung des Manierismus, die wegen ihrer Einmaligkeit sehr schnell über die österreichischen Grenzen hinweg bekannt geworden war und auch den Reporter Bill Conolly hatte aufhorchen lassen. Außerdem gehörte Bill zu den Leuten mit den besten Beziehungen. Er hatte einen Tag vor der Reise noch mit einem österreichischen Kollegen gesprochen, und der war erfreut gewesen, daß die Conollys nach Wien kommen wollten.
»Oder hast du auch von dem Mord gehört?« war Bill gefragt worden. So etwas machte einen Mann wie ihn natürlich aufmerksam. Bill hatte nachgehakt und erfahren, daß ein Nachtwächter im Künstlerhaus auf ungewöhnliche Art und Weise ums Leben gekommen war. Man hatte ihn vor dem Medusenbild tot aufgefunden. Tot und erstarrt. Es war keine Leichenstarre gewesen, nein, der Mann war versteinert. Natürlich kannte Bill Conolly die Medusa-Saga. Wer die schöne Frau mit dem Schlangenhaar ansieht, wird zu Stein. So stand es geschrieben, so wurde es erzählt.
Täglich jedoch gingen zahlreiche Besucher an diesem Bild der Medusa vorbei, ohne zu Stein geworden zu sein. Was war also mit dem armen Menschen geschehen?
Das wollte Bill natürlich herausfinden, aber er hatte mit Sheila, seiner Frau, darüber noch nicht gesprochen. Sie war wohl begeistert davon gewesen, dem Künstlerhaus am Karlsplatz einen Besuch abzustatten, denn so etwas gehörte zu ihren Hobbies.
Das Frühstück im Flotel war hervorragend gewesen, das Wetter ebenso, und nichts hielt die beiden in den Räumen. Sie hatten sich locker angezogen, der Sonnenschein lockte nach draußen, und als sie um die Ecke bogen, lag vor ihnen das prächtige Gebäude der Staatsoper. Sheila spielte Touristin, sie hob ihren Fotoapparat und schoß von der Staatsoper einige Aufnahmen.
»Die sitzen«, sagte sie und lachte ihren Mann an. Sheila trug ein sehr helles Kleid. Dazu eine rehbraune, sehr dünne Jacke, deren Stoff bis zu den Hüften floß.
»Gut.«
»Und jetzt?«
»Sollen wir schon die Ausstellung…?«
»Moment mal.« Sheila
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