Das Blut der Medusa
stellte Bill fest. »Keiner. Außer den jetzt Versteinerten vielleicht.«
»Ja, und einer von ihnen steht noch draußen.«
»Sicher.«
Sheila legte ihre Hand auf seinen Unterarm. »Und was willst du jetzt tun, Bill? Alles für dich behalten?«
»Vorerst ja.«
»Das gehl nicht, du mußt die Behörden benachrichtigen.«
Bill winkte ab. »Wer würde mir Glauben schenken?«
»Sie brauchen doch nur in einen Spiegel zu schauen, dann sehen sie das, was du gesehen hast.«
»Nein, Sheila, nein, das ist ein Fall, den wir allein durchziehen müssen.«
»Und als Versteinerte nach London zurückkehren, wie?«
»So sehe ich das nicht.«
»Wie denn?«
»Ich möchte gern die Nacht über hierbleiben.«
Sheila ging einen Schritt zurück. »Du bist verrückt. Du bist wahnsinnig. Das kannst du doch nicht machen!«
»Wieso nicht?«
»Wenn hier dichtgemacht wird, dann…«
»Wir verstecken uns und lassen uns einschließen, so einfach ist das.«
»Glaubst du nicht, daß man die Räume zuvor durchsuchen wird?«
»Dann muß unser Versteck eben besser sein.«
Sheila schüttelte den Kopf und atmete ein paarmal tief durch. »Du bist verrückt, Bill Conolly! Sogar mehr als das. Ich würde es als lebensmüde umschreiben, wirklich.«
»Hast du einen besseren Vorschlag?«
»Ja, den habe ich.« Sie nickte heftig.
»Dann raus damit!«
»Wir werden dieses Haus so schnell wie möglich verlassen, schalten die Polizei ein und lassen sie den Fall aufklären. Das ist der beste Vorschlag, den es gibt.«
»Für dich ja, für mich nicht.«
»Dann willst du tatsächlich dich hier einschließen lassen?« Sheila konnte es kaum glauben.
»So ist es.«
»Aber nicht allein«, erklärte sie nach einer Weile des Überlegens. »Ich bleibe bei dir.«
»Nein, wenn mir etwas passiert, soll wenigstens Johnny, unser Sohn, noch eine Mutter haben.«
Sheila hatte bei Bill einen wunden Punkt getroffen. Er begann nachzudenken. »Es könnte noch eine dritte Möglichkeit geben«, erklärte er mit leiser Stimme.
»Und welche?«
»Wenn Suko die nächste Maschine nimmt, kann er schon am Nachmittag hier in Wien sein.«
Sheila lächelte plötzlich. »Dem Vorschlag, mein lieber Bill, stimme ich voll und ganz zu.«
»Dann laß uns verschwinden, die Zeit drängt.«
Sheila warf beim Weggehen noch einen letzten Blick auf das Gesicht der Medusa. Jetzt hatte auch sie den Eindruck, als würde sie der Mund kalt und tödlich anlächeln…
***
Am nächsten Morgen erlebte ich einen herrlichen Sonnenaufgang. Der Glutball schien aus dem Meer zu steigen, das ihn bisher festgehalten hatte. Noch waren die Schatten der Nacht nicht völlig verschwunden, aber die Sonne tauchte sie in ein blutiges Rot, das auch helle Streifen enthielt, die wie Speerspitzen über die Wasserfläche der Ägäis flössen und sie zu einer prächtigen Bühne machten, auf der die Akteure sich aus den allmählich heimkehrenden Schiffen zusammensetzten. Ich stand auf dem kleinen Gitterbalkon vor meinem Zimmer und beobachtete dieses herrliche Schauspiel.
Obwohl ich mich erst sehr spät niedergelegt hatte, war an einen langen Schlaf nicht zu denken gewesen, weil ich innerlich einfach zu unruhig gewesen war.
In dem kleinen Gasthaus war ich wohl der einzige, der sich schon auf den Beinen befand. Ein Bad gehörte nicht zu diesem schlichten Zimmer. Dafür gab es am Ende des Flurs eine Dusche.
Ich kannte das Spiel schon von den vorherigen Tagen. Das Wasser tröpfelte zuerst, besaß auch eine komische Farbe, dann aber drang es stärker aus den Düsen, wenn es auch nur mehr lauwarm wurde. Ich fühlte mich trotzdem wohler, als ich mich im Zimmer wieder anzog. Verabredet hatte ich mich mit Clarissa Main in einem kleinen Restaurant unten an der Straße, wo es ein gutes Frühstück gab. Dort wollten wir alles weitere besprechen.
Als einsamer Spaziergänger schritt ich durch die Gassen dem Hafen entgegen. Das helle Morgenlicht der Sonne badete die weißen Häuser mit ihren dunkleren Flachdächern. Jenseits des Hafens bestand das Meer aus einer goldenen Fläche.
Noch lag Ruhe über dem Ort. Hinter mir, an den Felsflanken der Berge, stiegen die Morgennebel wie Tücher hoch. Diese Nebelfetzen würden der Sonne nicht lange widerstehen können.
Ich genoß die Schönheit des Morgens. Wer einen Job ausübt, wie ich es tat, der lernt es, die schönen Augenblicke des Lebens doppelt so intensiv zu genießen. Manchmal hatte ich das Gefühl, als würde ich mit einem Bein im Grab stehen. Da erfreut man sich eben
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