Das Blut der Unschuldigen: Thriller
glücklicherweise habe man die Überreste der Terroristen bereits aus der oberen Wohnung abtransportiert. Im Hause herrsche wieder Ruhe. Sie beklagte sich, dass niemand sie von den Vorgängen unterrichtet habe. Wenn man bedenke, dass sie möglicherweise auf einmal obdachlos dagestanden hätte! Dann berichtete sie, dass auch die übrigen Hausbewohner wieder in ihre Wohnungen zurückgekehrt seien, auf der Straße aber noch zwei Polizeiautos stünden. Nach dem, was sie sagte, musste es gegen sechs Uhr abends sein. Ihr Mann, fuhr die Frau fort, sei auf Geschäftsreise und werde erst am nächsten Abend zurückkehren.
Was für ein Glück! Es würde ihm nicht schwerfallen, die nicht besonders kräftige Frau zu überwältigen, ohne dass sie
Gelegenheit hatte, um Hilfe zu rufen. Dazu brauchte er nur einen geeigneten Augenblick abzuwarten.
Sie hielt sich eine Weile im Wohnzimmer auf und ging dann in die Küche. Erst sehr viel später kam sie ins Schlafzimmer. Kaum war sie zur Tür hereingekommen, als sich ihr eine kräftige Hand auf den Mund legte. Ein Fausthieb gegen die Schläfe ließ sie bewusstlos zu Boden sinken. Als sie wieder zu sich kam, war sie gefesselt, hatte eine Binde vor den Augen und einen Knebel im Mund.
Als ihr Mann sie vierundzwanzig Stunden später fand, war sie dem Wahnsinn nahe. Da sie ihren Angreifer nicht gesehen hatte, konnte sie ihn der Polizei auch nicht beschreiben.
Nachdem es Mohammed gelungen war, das Haus unbemerkt zu verlassen, hatte er das mit Recht berüchtigte Rotlichtviertel nahe dem Frankfurter Hauptbahnhof aufgesucht.
Dort war er vor einem Elektrogeschäft stehen geblieben, nicht weil ihn dessen Auslage interessierte, sondern, um in der spiegelnden Schaufensterscheibe festzustellen, ob ihm jemand folgte. Er war am Ende seiner Kräfte. Er musste eine Entscheidung treffen, auf die Gefahr hin, damit nicht nur das eigene Leben aufs Spiel zu setzen, sondern auch das weiterer Brüder. Ihm blieb keine Wahl – er musste unbedingt aus der Stadt verschwinden, was er aber ohne fremde Hilfe nicht konnte. Sorgfältig beachtete er Jussufs Hinweise, und dazu gehörte, dass er feststellen musste, ob man ihm folgte, bevor er die Wohnung von dessen Schwager aufsuchte. Als er sicher war, dass niemand auf ihn achtete, überquerte er die Straße und trat in das gegenüberliegende Haus, wo er die Stufen zum ersten Stock emporeilte.
Er wusste nicht, welche Tür die richtige war, und so drückte er nach kurzem Zögern auf den Knopf neben der mittleren.
Er musste eine ganze Weile warten. Sicherlich wurde er durch den Spion beobachtet. Plötzlich spürte er die Spitze einer Messerklinge im Rücken.
»Was willst du?«
Der Mann, der überraschend hinter ihm aufgetaucht war, sprach Arabisch, was ihn trotz der Angst, die ihn befallen hatte, beruhigte.
»Ich möchte zu Hassan«, sagte er leise, ohne sich zu rühren. Den Blick hielt er nach wie vor auf die geschlossene Tür vor sich gerichtet.
»Wer bist du?«
»Jussufs Vetter Mohammed. Hassan kann dir das bestätigen, er kennt mich.«
»Was willst du hier?«
»Ich brauche Hilfe.«
»Warum?«
»Das sage ich ihm selbst.«
Im nächsten Augenblick öffnete sich die Tür, und der Mann schob ihn hinein. Der Wohnungsflur lag vollständig im Dunkeln, so dass er nichts sehen konnte. Zwei Hände griffen nach ihm und stießen ihn so kräftig weiter, dass er zu Boden fiel.
»Steh auf.«
Erleichtert erkannte er Hassans Stimme und erhob sich schwerfällig. Jemand machte Licht. In dem einen Zimmer befanden sich außer Hassan al-Jari noch sechs Männer. Einer von ihnen hielt ein riesiges Messer in der Hand. Vermutlich der Mann, der ihn auf dem Flur ausgeforscht hatte.
Mohammed wartete, bis Hassan das Wort an ihn richtete. Er empfand große Achtung vor ihm, denn er hatte nie einen klügeren Menschen kennengelernt. Diesem Imam hatte er es zu verdanken, dass er in einer Medresse in Pakistan hatte studieren
dürfen. Dort hatte sein Leben einen Sinn bekommen, dort hatte er den Gedanken endgültig aufgegeben, wie ein Mensch des Westens leben zu wollen. Einige Jahre hindurch hatte er davon geträumt, in seiner Heimatstadt Granada als Spanier unter Spaniern zu leben, das aber war ihm nicht gelungen. Er war anders gewesen als seine unwissenden Klassenkameraden, denn schon sein Aussehen verriet ihn. Manche nannten ihn verächtlich »Muselmann«, andere waren weniger herablassend und behandelten ihn mit kühler Höflichkeit, aber auch das machte ihm sein Anderssein
Weitere Kostenlose Bücher