Das Blut der Unschuldigen: Thriller
noch nach den Umständen deiner Geburt fragen, sondern ausschließlich nach dem, was du in diesem Leben getan hast.«
Julián bekam einen lang anhaltenden Hustenanfall. Vergeblich versuchte ihm Fernando etwas Wasser einzuflößen.
»Trink und beruhige dich. Was ist denn nur?«
»Das Strafgericht Gottes … ich komme unweigerlich in die Hölle.«
Während er zitternd diese Worte hervorstieß, liefen ihm die Tränen über die Wangen. In seiner Angst und Beklemmung wirkte der Schreiber der Inquisition wie ein kleines Kind.
»Aber Julián! Welcher Verfehlung hast du dich schuldig gemacht, dass du solche Gedanken hegst?«
»Deine Mutter trägt die Schuld an meinem Leiden.«
»Schweig! Wie kannst du es wagen, eine solche Ungeheuerlichkeit auszusprechen?«
In Tränen aufgelöst warf sich der Mönch auf sein Lager. Zuckungen durchliefen seinen Leib. Fernando wusste nicht, was er tun sollte. Es bedrückte ihn, den Bruder, den er stets geliebt und beschützt hatte und der ihm lieber war als alle anderen Geschwister, in diesem Zustand zu sehen. Dann fiel ihm etwas ein.
»Nur gut, dass Ritter Armand mit uns gekommen ist. Er versteht sich auf die Heilkunde und hat seine Kenntnisse im Orient vertieft. Ich werde ihn bitten, dich aufzusuchen und dir ein
Mittel gegen dein Leiden zu geben. Jetzt muss ich gehen, morgen komme ich wieder.«
Tief in Gedanken verließ er das Zelt. Mehr als das körperliche Leiden des Bruders beunruhigte ihn dessen Seelenqual.
2
Eine ganze Weile blieb Bruder Julián bedrückt auf seinem Lager liegen. Auch als ihm Bruder Péire Brühe, Brot und Wein brachte, rührte er sich nicht, sondern stellte sich schlafend, um nicht wieder in ein Gespräch über seinen bek lagenswerten Gesundheitszustand verwickelt zu werden. Als dessen Schritte verhallt waren, setzte er sich auf, um das Brot in den säuerlich schmeckenden Wein zu tunken, der bisweilen seine Stimmung zu heben vermochte. Er stürzte die Brühe in einem Zug hinunter und wartete. Erst wenn alle Geräusche im Lager verstummt waren, durfte er das Wagnis eingehen, es zu verlassen. Der Ziegenhirte, der ihm die Mitteilung seiner Ziehmutter gebracht hatte, wollte ihn vor dem Lager erwarten, um ihn über die Bergpfade, die er auf Schritt und Tritt kannte, an den üblichen Treffpunkt zu führen.
Er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als er nahe seinem Zelt ein Geräusch hörte. Erschreckt fuhr er hoch. Offenbar war er eingeschlafen. Mit Mühe gelang es ihm aufzustehen. Aus einem Krug nahm er rasch einen Schluck Wasser, besprengte sich dann das Gesicht und ordnete seine Kleidung.
Im Lager war es so ruhig, dass es ihm vorkam, das Pochen seines Herzens müsse alle aufwecken. Die Feuer, mit denen sich die Wachen die nächtliche Kälte ein wenig erträglicher zu machen versuchten, warfen einen schwachen Lichtschein.
Rasch verließ er das Lager und eilte dem Wald zu, wo er jeden Augenblick auf Doña Marías Abgesandten zu treffen hoffte.
»Ihr habt Euch verspätet«, hielt ihm der Hirte vor, der ihm wie ein Gespenst in den Weg trat.
»Ich konnte nicht früher kommen.«
»Ihr habt geschlafen«, gab der Mann missgelaunt zurück.
»Nein, aber ich kann das Lager nicht nach Belieben verlassen.«
»Andere tun das auch, um ihre Angehörigen dort oben zu besuchen.«
»Das erstaunt mich.«
»Findet Ihr es wirklich erstaunlich, wenn Ihr bedenkt, dass man diese Männer zum Kriegsdienst gepresst hat?«
Julián schwieg. Er musste an Fernandos Worte denken: Allem Anschein nach gab es Menschen, die in Montségur wie in ihrem eigenen Hause ein und aus gingen.
»Wo erwartet mich die Herrin?«
»Folgt mir, dann werdet Ihr es sehen.«
Sie zogen etwa eine Stunde lang zwischen den zerklüfteten Kalkfelsen dahin, aus denen der große Sporn emporragte, den die Trutzburg Montségur krönte.
Der Hirte blieb bei einer Baumgruppe nahe einem großen Felsblock stehen. Kaum hatte Julián Atem geschöpft, als er sich Doña María gegenübersah.
»Mein Junge, wie froh ich bin, dich zu sehen.«
»Herrin …«
»Komm, setz dich zu mir. Wir müssen die wenige Zeit nutzen, die wir haben. Berichte mir, wie es da unten aussieht. Unsere Späher sagen, dass Hugues des Arcis über zehntausend Männer gebietet. Ich hoffe, dass sich der Graf von Toulouse durch diese Streitmacht nicht abschrecken lässt und seine Pflichten diesem Gebiet gegenüber einhält. Es geht nicht nur um den Glauben, sondern auch um die Macht.«
»Was wollt Ihr damit sagen?«
»Falls Montségur
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