Das Blut der Unsterblichen
Kristina, in die Mitte zu treten. Beklommen blickte Kristina in die Runde. Alle starrten sie an, manche offen feindselig, andere eher interessiert.
„Wir haben euch hierher gebeten“, begann Nahum. „Um uns die Ereignisse aus eurer Sicht anzuhören. Bevor wir richten, möchten wir gerne die Beweggründe eures Handelns zu verstehen versuchen.“
„Es ist meine Schuld“, antwortete Marcus prompt. „Bis vor einer Woche wusste Kristina nicht, wer ich wirklich bin. Ihr dürft sie nicht bestrafen für etwas, dass sie unwissentlich getan hat.“
Kristina warf ihm einen erbosten Seitenblick zu. Keinesfalls wollte sie, dass er die gesamte Schuld auf sich nahm.
„Was wir dürfen und was nicht, liegt wohl kaum in deinem Ermessen“, stieß Ernesto hervor. „Ich gehe nicht davon aus, dass deine Geliebte unwissentlich eine Unsterbliche geworden ist.“
„Nein, bin ich nicht“, antwortete Kristina schnell, bevor Marcus ihr zuvorkommen konnte. „Doch ich hatte keine andere Wahl. Wir wurden gejagt, wir schwebten in Lebensgefahr und ich wollte meine Tochter nicht alleine lassen. Immerhin ist sie noch nicht einmal volljährig, sie braucht mich. Da sah ich keinen anderen Ausweg mehr, als selbst zu einer Unsterblichen zu werden.“
„Aber deine Verwandlung ist ohne die Zustimmung des Rates erfolgt“, entgegnete Ernesto. „Als du das Blut deiner Tochter getrunken hast, hast du dich unseren Gesetzen widersetzt. Wie können wir annehmen, dass du dich zukünftig an unsere Regeln halten wirst, wenn du sie schon gebrochen hast, bevor du überhaupt eine Unsterbliche geworden bist?“
„Ich schwöre“, antwortete Kristina. „Dass ich mich euren Regeln und Gesetzen beugen werde. Was ich getan habe, war falsch, doch ich habe es aus Angst und Verzweiflung getan. Ich war nur ein hilfloser Mensch, der keinen anderen Ausweg sah. Ich weiß jetzt, dass dies der falsche Weg war, doch ich bin ihn nun einmal gegangen und kann es jetzt nicht mehr rückgängig machen. Ich versichere euch aber, dass ich die Autorität des Rates nie wieder infrage stellen werde.“
Marcus sah sie überrascht an und nickte dann anerkennend.
„Gut gesprochen“, gab Ernesto zu und wandte sich nun an Marcus. „Du kennst die Regeln, Marcus del Casals. Was hat dich dazu bewogen, unsere Gemeinschaft zu verraten und sie der Gefahr einer Entdeckung auszusetzen?“
„Die Liebe. Ich habe gegen jede Vernunft gehandelt, weil ich mit Kristina zusammen sein und einmal wenigstens ein ganz normales Leben führen wollte “, erklärte er.
Ernesto lachte abfällig. „Ein Unsterblicher inmitten biederem Kleinbürgertums ist wie ein Tiger als Haustier. Grotesk und gefährlich zugleich.“
„Bereust du es?“, fragte Blanche vom anderen Ende des Tisches.
Marcus zögerte. „Nein!“, sagte er schließlich.
Ernesto runzelte die Stirn und gab einen abfälligen Laut von sich.
„Die wichtigste Frage ist doch wohl: Würdest du es wieder tun?“, fragte Nahum, bevor Ernesto etwas sagen konnte.
Marcus zögerte. Kristina drückte seine Hand. Der Oberste des Rates bot ihm einen Ausweg. Warum zögerte er?
Nahum trommelte ungeduldig mit den Fingern auf die Tischplatte, das einzige Geräusch in dem Raum. Kristina schrie innerlich vor verzweifelter Wut. Du Idiot! Sag ihnen, was sie hören wollen, brich endlich dein dämliches Schweigen und rede!
Doch Marcus schwieg. Ernesto schnaubte, murmelte etwas von unverbesserlich und eine Schande für unseresgleichen .
Nahum erhob sich, stützte sich mit gespreizten Fingerspitzen auf den Tisch und forderte Marcus erneut zu einer Antwort auf.
„Ja, ich würde es wieder tun“, stieß Marcus hervor.
Kristina starrte ihn fassungslos an. Die Unsterblichen gerieten in Aufruhr. Nahums Augen verengten sich zu Schlitzen. Er fixierte Marcus.
„Nein, bitte nicht“, rief Leila, doch es war zu spät. Marcus stieß einen seltsamen Laut aus, eine Mischung aus Gurgeln und Stöhnen, riss die Augen auf und versteifte sich. Seine Pupillen schrumpften auf die Größe von Stecknadelköpfen.
„Was macht ihr mit ihm?“, schrie Kristina.
„Ich erforsche seine Gedanken“, erwiderte Nahum.
Marcus gesamter Körper begann, zu vibrieren. Blut floss aus seinen Ohren.
„Hört damit auf, bitte.“ Verzweifelt rüttelte sie an Marcus’ Arm, versuchte, ihn aus seiner Starre zu befreien. Er sackte zu Boden, drohte umzufallen, doch noch immer hielt Nahum ihn gefangen.
Erst als Marcus nach vorne kippte, entfernte er sich aus seinem Kopf. Schnell
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