Das Blut der Unsterblichen
da bist, auch wenn du die Luft anhältst, Kristina. Bitte mach auf oder willst du, dass die Nachbarn aufmerksam werden, weil ich hier stehe und mich durch die geschlossene Tür mit dir unterhalte?“
Sie stieß die Luft aus. Die Nachbarn waren ihr egal. Sie hatte noch nie viel darauf gegeben, was andere von ihr dachten, doch die Tatsache, dass er wusste, dass sie hinter der Tür stand, war ihr peinlich. Bevor sie es sich anders überlegen konnte, öffnete sie.
Da stand er, gut aussehend wie immer. Nur das dunkle Haar trug er mittlerweile kurz. Kristina betrachtete ihn erstaunt. Er sah keinen Tag älter aus als vor siebzehn Jahren. Schnell überschlug sie, wie alt er jetzt sein müsste. Achtundvierzig. Doch er sah aus wie Anfang dreißig. Das war völlig unmöglich!
„Kristina“, sagte er und ein strahlendes Lächeln überzog sein Gesicht.
Er hielt ihr eine Flasche Rotwein hin. „Ich dachte, das könntest du vielleicht gebrauchen.“
„Komm rein“, sagte sie tonlos und nahm die Flasche entgegen. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Sie bedeutete ihm stumm, im Wohnzimmer platz zu nehmen und lief dann in die Küche, um den Wein zu entkorken. Wie sie das in ihrer Verfassung fertigbringen sollte, war ihr allerdings ein Rätsel.
Zwei Minuten später stand die geöffnete Flasche tatsächlich vor ihr. Der Korken jedoch war in etliche Teile zerbröselt.
„Möchtest du auch ein Glas?“, rief sie.
Sie fuhr erschrocken herum, als seine Stimme direkt hinter ihr erklang.
„Nein danke. Habe ich dich heute Morgen erschreckt?“ Er war ganz nah, zu nah. Ihre Körper würden sich jeden Moment berühren und etwas in ihr wünschte es sich sogar. Eine Berührung wäre der Beweis, dass er tatsächlich lebte, dass er aus Fleisch und Blut war und keine Ausgeburt ihrer Fantasie.
„Ich dachte, du bist im Wohnzimmer“, sagte sie, schob sich an ihm vorbei und eilte davon. Er folgte ihr und nahm auf dem Ohrensessel platz. Kristina sank auf das Sofa und stürzte den Wein runter. Da sie so gut wie nie Alkohol trank, wurde ihr sofort schwummerig.
„Das warst du im Wald? Wieso hast du mich heimlich verfolgt? Du hast mir Angst gemacht“, sagte sie vorwurfsvoll.
„Ich wollte mich dir schon heute Morgen offenbaren, doch als ich hörte, wie der Mann mit dem Hund den Weg entlang kam, habe ich mich dagegen entschieden. Ich hatte Angst, du würdest schreien oder wegrennen.“
„Nicht unbegründet, wenn man bedenkt, dass du mich heimlich verfolgt hast.“ Sie griff nach der Flasche Rotwein und füllte ihr Glas auf.
Marcus schmunzelte. Sein Blick fiel auf den Ring, den er ihr einst geschenkt hatte und den sie noch immer trug, und Traurigkeit huschte über sein Gesicht.
„Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich dich vermisst habe, Kristina. Es gab keinen Tag, an dem ich nicht an dich gedacht habe, nicht einen einzigen“, sagte er. Schmerz klang in seiner Stimme.
Kristina starrte auf das Glas in ihren Händen. Ihn anzusehen, wagte sie nicht. „Wo bist du all die Jahre gewesen?“
„Ich war an verschiedenen Orten. Die ersten Jahre bin ich in New York geblieben. Dann hielt ich mich eine Zeit lang in Kuba auf. Zuletzt bin ich nach Frankreich zu einem Freund gegangen. Ich wollte dir näher sein, um herauszufinden, wie es dir geht und wie sich unsere Tochter entwickelt.“
Kristina gab einen abfälligen Laut von sich. „Du bist ja ganz schön herumgekommen. Willst du wissen, wo ich gewesen bin?“
„Ich weiß, wo du warst.“
„Ich war hier, Marcus“, fuhr Kristina ungerührt fort. „All die Jahre war ich hier, an diesem Ort, und habe ganz alleine unsere Tochter großgezogen.“ Sie zögerte, sah ihn nun doch an, taxierte ihn. „Wieso hast du deinen Tod vorgetäuscht?“
Er wich ihrem Blick aus. „Das ist kompliziert.“
„Nun, ich bin zuversichtlich, dass ich es verstehen werde.“
„Ich wollte dich niemals verlassen, glaube mir, aber ich hatte keine andere Wahl. Ich habe gelitten wie ein gefangenes Tier. Manchmal dachte ich, dass ich diese Qual keinen Tag länger aushalte. Deshalb habe ich begonnen, deine Telefonnummer zu wählen, nur um für ein paar Sekunden deine Stimme zu hören.“
Nun verstand sie die seltsamen Anrufe. „Für mich warst du tot, Marcus, und ich möchte wissen, warum du mich glauben lassen wolltest, dass du gestorben bist. Hast du auch nur die geringste Vorstellung davon was du mir damit angetan hast? Ich wusste immer, dass du etwas vor mir verbirgst, doch ich habe dir vertraut! Was
Weitere Kostenlose Bücher