Das Blut der Unsterblichen
geringsten Geräusch auf. Es war eigenartig, dass sie derart tief geschlafen hatte, vor allem unter diesen Umständen.
Marcus ergriff ihre Hand. „Mach dir keine Sorgen. Du bist hier sicher.“
Sie lächelte ihn an. „Ich weiß.“
„Hast du Lust auf einen Spaziergang?“, fragte er.
„Begleitest du mich?“
„Selbstverständlich.“
Sie verließen das Haus und schlenderten über das Anwesen. Marcus stellte Fragen über Leilas Entwicklung und das Leben mir ihr. Kristina indessen befragte ihn zu seinem Leben als Unsterblicher, zu den Ländern, die er bereist hatte und ob es Menschen gab, die von der Existenz der Unsterblichen wussten. In einem Augenblick der Stille wagte er zu fragen, warum sie keinen neuen Partner gefunden hatte. Nach einem gestotterten Erklärungsversuch ihrerseits beteuerte er, wie froh er darüber war, dass sie keinen anderen Mann geheiratet hatte, und entschuldigte sich gleichzeitig für seine eigennützige Erleichterung. Und plötzlich war es wie siebzehn Jahre zuvor. Die vertraute Nähe, das warme Gefühl in ihrem Herzen, das Begehren. Seufzend hakte sie sich bei ihm unter und lehnte den Kopf an seine Schulter. Sie wollte nicht mehr über seine wahre Natur nachdenken oder über Franks Tod oder darüber, in welcher Gefahr sie schwebten. Nur für eine kleine Weile wollte sie einfach nur glücklich sein. Mit den Fingerspitzen strich sie über seinen Arm. Marcus versteifte sich kaum merklich und rückte von ihr ab, redete plötzlich über Belanglosigkeiten, wie die Architektur des Hauses und die Geschichte des Anwesens. Kristina wunderte sich über seine plötzliche Reserviertheit, doch sie fragte ihn nicht danach.
Am Nachmittag trafen sie ihre Gastgeber und sprachen erneut über ihr Dilemma, ohne jedoch eine befriedigende Lösung zu finden. Philippe riet Marcus, sich zu stellen. Er vertraute darauf, dass der Rat nachsichtig sein würde. Estelle wiederum schlug ihnen vor, ins Ausland zu fliehen, zu einem Ort, wo es sehr wenige Unsterbliche gab. Australien zum Beispiel, Südafrika oder Ägypten.
Als die Nacht hereinbrach, machten sie sich auf den Weg in ihre Zimmer, um sich für das Abendessen umzuziehen. Marcus begleitete Kristina. „Du hast noch eine gute halbe Stunde Zeit“, sagte er.
„Oh so ein Mist“, schimpfte sie, während sie ihre Schuhe abstreifte und die Hose öffnete. „Da muss ich mich beeilen, dabei hatte ich gehofft, ich könnte baden. Jetzt muss es wohl eine Dusche tun.“
„Dann will ich dich nicht weiter stören“, erwiderte er und klang plötzlich angespannt. „Ich hole dich später ab.“
Ohne auf eine Antwort zu warten, verließ er das Zimmer.
Hastig zog Kristina die Hose aus, öffnete den Koffer und wühlte in ihren Kleidern. Eine halbe Stunde war nicht lang. Nachdem sie sich für ein Outfit entschieden hatte, begab sie sich in das Badezimmer, wo sie einen sehnsüchtigen Blick auf die große Wanne warf. Auf einem Regal fand sie flauschige Badetücher, einen Bademantel und diverse Badezusätze sowie Cremes und ein Parfüm in einem wunderschönen, gläsernen Flakon, das verdächtig nach Chanel roch.
Nach dem Duschen fühlte sie sich erfrischt und hungrig. Schnell föhnte sie ihr Haar, zog Jeans und eine etwas weiter ausgeschnittene, weiße Tunika an und schminkte sich dezent. Anschließend betrachtete sie sich im Spiegel. Angesichts der beschränkten Mittel war sie zufrieden. Ihr Dekolleté wurde durch den Schnitt und die Stickerei am Ausschnitt der Tunika vorteilhaft zur Geltung gebracht. Als sie den Ring mit dem herzförmigen Rubin überstreifte, klopfte Marcus auch schon an die Tür. Schnell trug sie ein paar Tropfen Parfüm auf und öffnete.
„Guten Abend, Kristina“, begrüßte er sie mit einem strahlenden Lächeln. „Bist du bereit?“
Sie nickte und grinste schief. „So bereit, wie man nur sein kann, wenn man den Umstand bedenkt, dass ich mich in einem Haus mit Unsterblichen befinde und mich die ganze Zeit frage, woraus wohl das Abendessen besteht.“
Marcus lachte herzhaft und ergriff ihre Hand. „Jedenfalls nicht aus dir, so verlockend dein Blut auch sein mag. Allerdings wird sich dein Abendessen tatsächlich von unserem unterscheiden.“
„Ich erinnere mich, wie du mir vor vielen Jahren von deinem sogenannten Magenleiden erzählt hast. Ich habe das wirklich geglaubt. Rückblickend betrachtet gab es so viele fragwürdige Begebenheiten und Verhaltensweisen, dass ich mich wundere, dass ich es nicht schon damals gemerkt habe.“
„Die
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