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Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen

Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen

Titel: Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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nicht.
    Wakiya kannte sich in seiner neuen Umgebung schon aus. Er wußte, in welchem Hause der Superintendent, der allmächtige Vater der Reservation, seinen Sitz hatte, wo die übrigen halbmächtigen Geister zwischen Stühlen und Schreibtischen zu finden waren, wo der Stammesrat tagte, wo das Gerichtshaus des Stammes und wo das kleine Gefängnis stand, in dem die Mutter hatte büßen sollen, daß Wakiya unentschuldigt von der Schule ferngeblieben war.
    Wakiya war viel unterwegs, und wenn Ed Crazy Eagle, der Blinde, Zeit hatte, erlaubte er dem Kind, seine Fragen zu stellen. Die beiden saßen sich am Tisch im Wohnzimmer gegenüber. David hörte gespannt zu.
    »Vater Ed Crazy Eagle! Sind Indianer dümmer als Geister?« Wakiya mußte mit dem Blinden englisch sprechen, und er hatte sich schon daran gewöhnt, daß in dieser Straße Menschen >Indianer< und Geister >weiße Männer< hießen. Doch brachte er dies auch zuweilen noch durcheinander, nicht ganz ohne Absicht.
    »Sie sind nicht dümmer, Kind.«
    »Warum haben uns die Geister besiegt?«
    »Weil wir unseren klugen Kopf noch nicht richtig gebraucht haben. Es nützt nichts, wenn einer ein Pferd hat. Er muß es auch reiten können.«
    »Wie können wir lernen, unseren Kopf richtig zu reiten?«
    »In der Schule.«
    Wakiya war mit dieser Antwort nicht zufrieden. »Dort lerne ich aber nicht alles, was ich wissen möchte.«
    »Was möchtest du wissen, Wakiya?«
    »Alles über Tashunka-witko, unseren Häuptling.«
    »Der Große Vater in Washington hat ihn den größten Reiterführer aller Zeiten genannt.«
    »Ist Tashunka-witko in die Geisterschule gegangen?«
    »Nein.«
    »Hat er seinen Kopf nicht richtig gebraucht?«
    »Er hat nicht gewußt, wie groß die Zahl der weißen Männer ist. Weil er nicht in die Schule gegangen ist.«
    »Aber hat er gewußt, was recht ist und was unrecht ist?«
    »Das wußte er, Byron Bighorn.«
    »Wissen die weißen Männer immer, was recht und was unrecht ist?«
    »Sie haben dicke Gesetzbücher, darin steht das geschrieben.« »Steht darin geschrieben, daß unser Land ihnen gehört?« »Ja, auch das.«
    »Ist das recht oder ist es unrecht?«
    »Eure Väter haben viele Männer des Absaroka-Stammes getötet und ihnen Prärie und Büffel weggenommen. War das recht oder war es unrecht, Byron Bighorn?«
    Wakiya überlegte lange.
    »Sie haben aber mit gleichen Waffen gekämpft, darum ist es nicht schmählich gewesen.«
    »Du könntest ein Rechtsanwalt werden, Byron Bighorn!«
    Des Nachts, als alle schon in ihren Betten lagen, sprach Ed leise zu Margot, und er bemerkte nicht, daß Wakiya noch nicht schlief: »Wakiya ist unglaublich begabt und aufgeweckt. Wenn ich nur wüßte, was man für ihn tun könnte.«
    »Er ist epileptisch, Ed.«
    »Ich weiß. Das ist schlimmer als blind, weil man die Anfälle nie berechnen kann.«
    Wakiya lag in dem weißbezogenen Kinderbett, und als er die anderen endlich Schlafend atmend hörte, ließ er die Tränen in seine geöffneten Augen treten.
    Am nächsten Morgen spähte er aus einem versteckten Winkel, den er sich ausgesucht hatte, wieder einmal über die Agenturstraße.
    Der Gefangenenwagen der Polizei fuhr vor das Gerichtsgebäude. Der große und der kleine Polizist, die Wakiya schon kannte, stiegen aus, öffneten und schafften Joe King in Handschellen in das Gerichtsgebäude.
    Wakiya-knaskiya hatte genug gesehen. Er lief zurück in das Haus Adlergeheimnis, suchte in Davids Bilderbüchern herum, ohne David, der dabeisaß, zu beachten, und blieb mit seiner Aufmerksamkeit an einem Kinderbuche hängen. »Two Feet« hieß es. »Zweifuß« war ein Indianerbub, der einem Mustang half, und dieser half wiederum dem Jungen.
    Wakiya las das ganze Buch sich selbst laut vor; es waren viele Bilder darin und wenige Wörter in großen Buchstaben; damit kam er schon zurecht. Frau Margot hörte zu, störte Wakiya nicht, war aber besonders freundlich zu ihm, weil sie glaubte, daß er lernen wollte. Er zielte aber nur darauf, an diesem Tage Lob zu ernten, damit Vater Ed Crazy Eagle am Abend freundlich gestimmt wäre.
    Das erreichte er allerdings nicht so vollständig, wie er es sich gewünscht hatte, denn Vater Ed kam sehr ernst und sehr müde nach Hause.
    Um ihn aufzumuntern, erzählte Frau Margot, wie eifrig sich Byron im Lesen geübt habe.
    »So wirst du jetzt doch Englisch lernen und keinen Menschen töten!«
    Ed Crazy Eagle hatte die merkwürdige und erschreckende Antwort Wakiyas aus einem früheren Gespräch offenbar noch im

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