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Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen

Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen

Titel: Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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kam es, daß Wakiya bis zur Straße lief, die in seinen Augen noch immer eine Schlange war, und dort nachmittags von Frau Margot mit dem Wagen in Empfang genommen wurde. Er begegnete ihr kühl, wenn auch nicht eben feindselig. Vielleicht hatte sie ihre falschen und beleidigenden Ansichten über Inya-he-yukan inzwischen geändert.
    Auf der Fahrt zur Agentursiedlung ging es durch einen heftigen Platzregen hindurch. Die Scheibenwischer wurden mit der triefenden, klatschenden Nässe kaum mehr fertig. Als der Regen aufhörte, blieb der Himmel mit einem drohenden Gelb am Horizont noch verschwommen leuchtend, und für die Nacht wurden weitere Unwetter erwartet. Die Menschen in der Siedlung waren besorgt. Sie sicherten die Fensterläden und verrammelten alle Türen, die nicht unbedingt gebraucht wurden. Die Feuerwehr stand in Alarmbereitschaft. Die Büros waren bereits geschlossen.
    Wakiya sah sich das alles gleichgültig an. Er war ein Leben in der Wildnis ohne viel Schutz gewohnt. Als Frau Margot den Wagen in der Garage abstellte, fragte er mit den Augen, ob er etwas tun oder helfen könne. Margot Adlergeheimnis freute sich über die Hilfsbereitschaft des Kindes und kam auf den Gedanken, Wakiya rasch noch zu einem Einkauf zu schicken. Sie gab ihm Geld und bat ihn, ein halbes Kilogramm Margarine in dem Selbstbedienungsladen zu holen, ehe dieser schloß, Wakiya lief los, das Geld in der Hand.
    Der Selbstbedienungsladen lag an einer Ecke der Agenturstraße, die jetzt menschenleer war. Vor dem Laden, ein paar Schritte von der der Hauptstraße zugewandten Schaufensterscheibe entfernt, stand ein junger Mann, groß gewachsen. Er betrachtete nicht das Schaufenster, sondern blickte die Straße hinunter, als ob er jemanden erwarte. Sein weißes Hemd klebte vor Nässe an Brust und Schultern; seine schwarzen Niethosen waren naß bis über die Knie, und naß war der schwarze Cowboyhut. Der junge Mann mußte wohl in dem Sturzregen draußen gewesen sein.
    Wakiya spielte mit dem Geldstück in der Hand, als ob er nochmals überprüfe, was er für den geplanten Einkauf auszugeben habe. Halb verdeckt spähte er nach dem Ledergürtel des Mannes und nach einem Messergriff, der am oberen Rande des rechten Schaftstiefels sichtbar wurde. Wakiya erkannte diesen Griff sofort wieder, wenn ihm auch sonst der Mann fremd geblieben wäre. Es war der Griff zu einer schmalen spitzen Klinge. Wakiya sah Joe King und sein Stilett.
    Wakiyas Herz klopfte, aber er versteckte sich vor sich selbst und seinen brennenden Wünschen und wollte an Joe King schnell vorbei in den Laden huschen. Er wagte nicht einmal, ihm einen Augenblick ins Gesicht zu sehen. Von irgendwoher bedrückte ihn die Angst, daß er Inya-he-yukans Augen nicht darin wiederfinden würde oder daß sie ihn verbrennen müßten, wenn er zu neugierig war.
    Aber ein »Hay!« ließ seine Füße anhalten. Er stand und blickte zu Boden.
    »Komm, bring mir eine Schachtel Zigaretten aus dem Laden mit.«
    Die Stimme ging Wakiya durch Leib und Glieder, die Worte blieben ganz gleichgültig. Als er auf den Mann zulief, erkannte er das Gesicht, ein noch junges mageres Gesicht, scharf aus natürlicher Anlage, schärfer geworden im Leben, und Inya-he-yukans Augen schauten ihn an.
    Wakiya nahm das Geldstück. Die Hand, die es ihm gab, war schlank gewachsen. Er lief in den Laden, legte Margarine in den Korb und ließ sich von der Kassiererin eine Schachtel Zigaretten geben. Bei den Zigaretten bekam er noch etwas Geld heraus. Die blonde Kassiererin, die sonst keinen Kunden im Laden hatte, war unaufmerksam und langsamer als sonst. Sie äugte durch die Schaufensterscheibe und murmelte vor sich hin: »Damned, das ist doch Joe King.«
    Als Wakiya den Laden verließ, war auf der gegenüberliegenden Straßenseite noch ein zweiter Mann aufgetaucht, ebenfalls groß, breiter in Schultern und Hüften und mit etwas hellerer Haut. Auch er trug die übliche Kleidung, aber in bunten Farben.
    Wakiya hatte sich die Fähigkeit bewahrt, das Unausgesprochene zu begreifen, wenn es stark gefühlt und gedacht wurde. Diese beiden jungen Männer, die auf der leeren Straße einander gegenüber standen, waren Feinde. Jeder von ihnen tat, als ob der andere nicht vorhanden sei und nicht bemerkt zu werden brauche. Beide schauten in der gleichen Richtung die Straße hinunter, als ob sie jemanden erwarteten.
    Joe King nahm die Zigaretten und den Rest Geld. Seine Mundwinkel waren durch ständige Gewohnheit herabgezogen, haßgeformt, spöttisch.

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