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Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen

Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen

Titel: Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Gedächtnis.
    Was aber während seines Arbeitstages dem blinden Richter die neue Anknüpfung an solche Gedanken gegeben hatte, konnte Wakiya nicht wissen. Das Kind benutzte jedoch die Bemerkung des Erwachsenen, um zu seinen eigenen Fragen zu leiten.
    Da Vater Ed mit seiner Frage die Erinnerung an Theodore Teacock und an Joe King aufrührte, sprang Wakiya unmittelbar und mit wohlgesetzten Wendungen darauf an.
    »Ist es wirklich wahr, Vater Crazy Eagle, daß Joe King im Gefängnis die schöne Sprache unserer Welt gelernt hat?«
    »Wie kommst du denn auf solche Worte, Byron! Bist du schon ein Redner geworden?«
    »Mister Teacock hat so gesprochen.«
    »Ah - damals - und daher die wohlgesetzte Floskel. Schöne Sprache unserer Welt! Ja, Joe King hat wahrhaftig Englisch gelernt, nicht einmal das schlechteste. Wer weiß, wem er im Gefängnis begegnet ist.«
    Wakiya-knaskiya, dem es gelungen war, Vater Ed Crazy Eagle auf das gewünschte Thema zu bringen, raffte allen Mut zusammen. Er wollte nicht so feige sein, seinen Freund zu verleugnen, wo es schwer war, von ihm zu sprechen.
    »Was macht ihr nun mit Inya-he-yukan?«
    »Wen meinst du?«
    »Joe King.«
    Ed Crazy Eagle, der Blinde, horchte auf den Ton in Wakiyas Worten. Da gärte mehr als Neugier. Wie sollte er sich nun dem Kinde gegenüber verhalten? Das beste war wohl, ihm zu antworten, wie er auch einem Erwachsenen auf diese Frage geantwortet hätte. Frau Margot strich ihrem Mann warnend über die Hand. Aber Ed ließ sich nicht abhalten.
    »Joe King ist wieder frei. Die erschossenen und erstochenen Banditen, die Vater Halkett gefunden hat, gehen uns nichts an. Sie sind als üble Gangster identifiziert. Kämpfe der Gangster untereinander. Das ist eine Welt für sich und keine schöne. Wir forschen nicht weiter nach. Was aus Harold Booth geworden ist, wissen wir nicht. Er ist verschwunden. Aber es gibt keine Beweise dafür, daß Joe ihn getötet hätte. Joe King wird übrigens Queenie Halkett heiraten.«
    »Was?!« Margots braune Antilopenaugen weiteten sich nicht nur erstaunt, sondern entsetzt.
    Ed lächelte kummervoll. »Unser schönstes und tüchtigstes Mädchen hier. Sie hat ein ausgezeichnetes Zeugnis über den Abschluß der elften Klasse der Kunstschule für Indianer. Aber gegen die Liebe ist kein Kraut gewachsen.«
    »Hat Joe denn Arbeit?«
    »Damit wird es schwerhalten. Die Angelhakenfabrik will ihn nicht haben. Vater Halkett nimmt einen Joe King nicht bei sich auf. Das junge Paar wird wohl auf die Ranch zu dem alten King ziehen müssen.«
    »Zu dem Trinker? Schrecklich.« Ein neuer Seufzer Frau Margots über die böse Welt klang in den Worten mit.
    Ed zuckte die Achseln. »Was willst du machen?«
    Bis zum nächsten Morgen wußte Wakiya-knaskiya aus diesem Gespräch auch alles das, was er zunächst nicht genau verstanden hatte. Er bat darum, daß er wieder heimgehen dürfe zur Mutter, und Frau Margot verstand diesen Wunsch und brachte das Kind mit dem Wagen so weit, daß es das letzte Stück des Heimwegs laufen konnte, ohne daß sich Frau Margot Sorgen darum zu machen brauchte.
    Wakiya-knaskiya rannte die verbleibende Strecke zu der kleinen Blockhütte in der freien Prärie. Er fiel der Mutter um den Hals, und Eliza Bighorn weinte und lachte, weil ihr ältester Junge wieder bei ihr bleiben wollte. Die Geschwister zogen an ihm mit Händen und Fragen; er sollte ihnen erzählen, was er bei den Geistern erlebt hatte.
    Und er erzählte.
    Aber nicht von Inya-he-yukan.
    Das Bild dieses Mannes, das sein Denken und Träumen im Wachen und Schlafen bestimmte, kam erst einige Wochen später und wieder auf unvermutete Weise mit Wakiyas Wirklichkeit in Berührung.
    Bis dahin verlebte, verspielte und durchdachte Wakiya seine Ferienwochen auf eine ihm selbst ungewohnte Weise. Er war zwar noch ein Kind, ein Kind mit einem sehr schlechten Zeugnis, ein krankes Kind, ein Kind armer Leute, Kind eines ganz besiegten und unterworfenen Volkes und vaterlos. Aber er hatte die Augen, die er suchte, wiedergefunden. Inya-he-yukan hatte mit ihm wie mit einem Bruder gesprochen, und Ed Adlergeheimnis hatte ihm geantwortet, wie man einem Manne Antwort gibt.
    Wakiya saß jetzt oft mit seinen Geschwistern zusammen, und da er seinem kleineren Bruder, der im Herbst in die Schule aufgenommen wurde, vieles zu erklären hatte, merkte er erst, daß auf Schritt und Tritt immer neue Rätsel auf seinem Wege lagen.
    Wer war Ed Adlergeheimnis? Er war als ein Mensch geboren aus dem Stamme der Cheyenne. Aber er

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