Das Blut Des Daemons
davon kostet, kann sich in Rauch und Wind verwandeln. Oder in ein Tier. Keine Waffe, kein Element kann ihm mehr etwas anhaben.« Ebenso langsam wie zuvor kippte er sie wieder in die andere Richtung. Das Pulver rieselte zurück. »Zur Zeit der Inquisition soll es eine ganze Gruppe Lamia vor den Hexenjägern verborgen haben. Sie sollen einfach an ihrem Haus vorbeigegangen sein, ohne es zu sehen. Ein andermal heißt es, eine Sturmflut habe allein jenes Haus verschont, in dem sich eine junge Lamia mit ihrem Geliebten aufhielt, die mit ihm in Berührung gekommen war.« Er verzog den Mund. »Das Einzige, was es den Erzählungen zufolge offenbar nicht kann, ist Tote zum Leben erwecken.« In einer fast spöttischen Bewegung hob er die Schultern. »Die Legenden über das Blut der Ersten füllen zig Regalmeter in den Bibliotheken in Griechenland. Nur: Wenn es all das getan hätte, was man ihm nachsagt, wäre schon seit sehr langer Zeit nichts mehr davon übrig.«
»Du glaubst nicht daran?«
»Ich habe nicht daran geglaubt. Jetzt ist es die einzige Hoffnung, die mir geblieben ist.« Die Bewegung endete. Abermals suchte Juliens Blick in meinem. »Sollen wir es versuchen, Dawn? Wie Adrien sagte: Ich könnte dich damit töten. Möglicherweise bewirkt es auch überhaupt nichts. Aber vielleicht …«, er führte den Satz nicht zu Ende.
Aber vielleicht würde es mich wieder gesund machen.
Hatte ich irgendetwas zu verlieren? Im schlimmsten Fall kam das Ende einfach nur schneller. – Was vielleicht ohnehin eine Gnade für uns beide wäre. – Und auch wenn die Chance, dass an all diesen Legenden nur ein Funken Wahrheit war; dass dieses unscheinbare dunkelbraune Pulver tatsächlich verhindern konnte, dass ich starb, unendlich gering war, war es nicht zumindest einen Versuch wert? Ich riss meinen Blick von der Phiole los und sah Julien an. Er erwiderte ihn mit leicht schief gelegtem Kopf. Mein Herz krampfte sich zusammen. Ich wollte leben, ja. Aber doch nicht zu diesem Preis. Ein Leben gegen ein anderes? Nur auf ein vages Vielleicht hin?
»Ich kann nicht«, flüsterte ich hilflos.
Julien neigte den Kopf ein wenig weiter. »Nennst du mir den Grund?« Sein Ton verriet nicht, was in ihm vorging.
»Ich kann dein Leben doch nicht ruinieren.«
Einen sehr langen Moment schaute er mich einfach nur still an. »Ohne dich habe ich kein Leben, das man ruinieren kann, Dawn«, sagte er endlich schlicht.
Ich sah abermals auf die Phiole, schlagartig brannten meine Augen und ich musste mehrmals blinzeln, bis es – zusammen mit den Schleiern davor – wieder vergangen war. Trotzdem wartete ich noch ein paar Sekunden, ehe ich es wagte, den Blick wieder zu Julien zu heben.
»Und wie … Ich meine, wie …« Ich räusperte mich unsicher.
Er zögerte.
»Julien?«
»Ich weiß es nicht mit Sicherheit«, gestand er mir dann nach einem weiteren Augenblick.
Der Laut, der aus meiner Kehle kam, war mehr ein überraschtes Keuchen als ein vernünftiges Wort. Julien verstand es dennoch.
»Dawn, was wir zu tun beabsichtigen, hat noch nie jemand vor uns getan. Oder zumindest hat er niemandem davon berichtet.«
Mit einem tiefen Atemzug rieb ich mit den Händen über meinen Oberschenkel, ehe ich die Finger ineinanderschlang. Natürlich. Wir planten – wie hatte Julien gesagt? – jedes Gesetz zu brechen, das es bezüglich des Blutes der Ersten gab. Wenn es tatsächlich schon vor uns jemanden gegeben haben sollte, der das gewagt hatte, hatte er es garantiert nicht aller Welt – zumindest der der Lamia – erzählt. Erst als Julien seine Hand über meine legte, wurde mir bewusst, dass ich mir die Fingernägel in die Knöchel grub.
»Ich habe auf dem Weg hierher darüber nachgedacht. Ich schätze, wir haben nur eine Möglichkeit: Wir vermischen es mit meinem Blut und du trinkst es.« Seine Finger strichen über meine. »Was meinst du?«
Ich sog die Unterlippe zwischen die Zähne. »Du hast eine vergessen.«
»Und die wäre?«
»Wir besorgen uns eine Spritze, vermischen etwas davon mit deinem Blut und ….« Die Art, wie er mich ansah – so als würde er an meinem Verstand zweifeln –, ließ mich den Rest des Satzes unterschlucken.
»Selbst wenn mein Blut wie das eines Menschen wäre … Du erwartest nicht ernsthaft von mir, dass ich etwas in deine Adern spritze, von dem wir nicht mal annähernd wissen, was es bewirkt, geschweige denn wie verunreinigt es ist?« Er schüttelte den Kopf. »Das Risiko ist auch so schon groß genug. Wir müssen es nicht
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