Das Blut Des Daemons
noch keiner meiner Anfälle gewesen. Auf meinemNachttisch wartete die Plastikschüssel auf meinen nächsten. Jenseits der Fenster war der Himmel grau und dunkel. Ich erwiderte seinen Blick schweigend, schob die Hand unter der Decke hervor, an den Bettrand. In meinem Mund hing noch immer ein bitterer Geschmack. Julien verschränkte seine Finger mit meinen, streichelte mit dem Daumen ganz leicht die Seite meines Zeigefingers. Mein Hals tat weh. Und war zugleich wie zugeschnürt. Auch unser zweiter Versuch war gescheitert. Es war vorbei. Ich lag einfach nur da. Stumm. Sah Julien an. In mir war nichts als Verzweiflung und Hilflosigkeit – und ein irgendwie seltsames Gefühl der … Leere. Betäubend. Lähmend. Wie ein Sog, ein Strudel, der alles mit sich zerrte, was in seine Nähe kam. In die Tiefe. Immer weiter. Wo nichts mehr war. Gar nichts mehr außer Dunkelheit.
Noch immer strich Julien über die Seite meines Fingers, über die empfindsame Kuhle zwischen Daumen und Zeigefinger. Unendlich zart. Meine Kehle war so eng, dass ich kaum noch schlucken konnte. Wir mussten es beide akzeptieren. Es war nicht fair. Und es tat weh.
Behutsam entzog ich ihm meine Hand, gerade weit genug, dass meine Finger aus seinen glitten. Er ließ es geschehen. Sah mich einfach nur weiter an. Ich schloss die Lider und grub mir die Zähne in die Lippe. Selbst das Atmen fiel mir schwer.
»Warum?«, sagte ich irgendwann leise in die Stille zwischen uns hinein.
Ich konnte hören, wie Julien sich neben meinem Bett bewegte. »Warum was?«, fragte er ebenso leise zurück.
»Warum … bleibst du bei mir? Ich … Warum gehst du nicht einfach? Ich meine … Du kannst jede haben. Jede. Und ich … Schau mich an, ich …« Ich kämpfte mit der Enge in meiner Kehle. »Warum … warum liebst du ausgerechnet mich?« Meine Stimme erstarb. Die Stille kam zurück. Als siezu lange dauerte, öffnete ich zögernd die Augen. Julien hatte eine Braue gehoben, maß mich mit einem Blick, den ich nicht deuten konnte.
»Warum sollte ich eine andere nehmen, wenn ich dich will?« Behutsam legte er seine Fingerspitzen gegen meine, drückte sie mit seinen sacht in die Höhe, bis unsere Finger ein kleines Dach bildeten. »Und warum ich dich liebe?« Er betrachtete unsere Hände. »Ich weiß es nicht.« Ganz leicht hob er die Schultern. »Es ist so. Ich habe mich in dich verliebt und … tja, das war’s. Das ist alles, was ich sagen kann. – Für mich ist das genug.« Langsam hob er den Blick zu mir. Das Quecksilber seiner Iris war gefährlich dunkel. »Mehr als genug.«
»Aber … warum?« Ich klang so hilflos, wie ich mich fühlte.
Er spreizte seine Finger zusammen mit meinen. »Ich kann es nicht erklären. – Ich will es aber auch nicht.« Sein Kopfschütteln war kaum wahrzunehmen. »Du bist an diesem Tag in mich hineingelaufen und – wie gesagt – voilà.«
»Wann bin ich in dich ›hineingelaufen‹?« Der Schmerz in meinem Inneren meldet sich mit einem heißen Stich zurück. Mit einem hastigen Atemzug biss ich die Zähne zusammen und zog die Beine wieder ein bisschen mehr an. Für Sekunden wurden Juliens Augen schmal. Ich versuchte ihn mit einem Lächeln zu beruhigen, wiederholte »Wann bin ich in dich ›hineingelaufen‹?« und verfluchte mich selbst dafür, dass die Worte so gepresst klangen. Wie er mich ansah, verriet mir, dass er wusste, was los war. Trotzdem antwortete er mir nach einem kurzen Zögern.
»An meinem vierten Tag an der Montgomery. In der Pause zwischen der zweiten und dritten Stunde. Du hattest es ziemlich eilig, als du um die Ecke kamst. Ich hatte den Arm voller Bücher. Nun ja, zumindest bis zu diesem Augenblick. Du hast ein ›Tut mir leid‹ gemurmelt und mich nur eineSekunde angeschaut – ohne mich wirklich zu sehen . Für mich war es genug. Es fühlte sich beinah so an wie damals, als ich vom Seil gefallen bin. Und zugleich wieder ganz anders. Unbeschreiblich. Ich wusste nur eins: Ich wollte dich! Haben. Beschützen. Lieben. Vor der Welt verstecken, damit kein anderer Mann dir jemals nahe-, dich jemals wieder zu Gesicht bekommt. Niemand dir jemals wehtun kann.« Er schob seine Hand vor, bis unsere Handflächen sich berührten. »Ich muss dir nachgestarrt haben wie ein schwindsüchtiges Mondkalb. April war gar nicht erbaut darüber. Und ich nicht wirklich sanft, als ich sie in den nächsten offenen Klassensaal gezerrt und von ihr getrunken habe.« Abermals spreizte er die Finger. Meine folgten der Bewegung. »Woher hätte ich
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