Das Blut Des Daemons
gehörten, und als sie mir endlich gehorchten, war es, als stemme ich mich gegen einen unsichtbaren Widerstand – der sich mit dem Gefühl von Brennnesseln gegen meine Haut drückte. In meinem Zimmer war es verwirrend hell, obwohl ich – auch wenn ich mir nicht erklären konnte warum – wusste, dass die Sonne erst in etwas mehr als zwei Stunden aufgehen würde. In der Luft hing der Geruch nach ausgebrannten Kerzen. Zusammen mit einer anderen Witterung … Das Ziehen in meinem Oberkiefer war übergangslos ein dünner Schmerz … ein Geruch, süß, dunkel und erdig.
Ich fuhr in die Höhe, drehte mich um – der Raum um mich wurde grau, unscharf, wankte, schrumpfte von den Rändern her zusammen, wurde wieder klar – und von einer Sekunde zur nächsten war mir eiskalt …
Nein! Nein, nein, nein! Ich schob mich hastig vom Bett hinunter, landete auf den Knien, als meine Beine die Zusammenarbeit verweigerten. Nein! Julien! Auf allen vieren krabbelte ich, so schnell ich konnte, zu ihm.
»Julien! Nein!«
Er lag vor meinem Schreibtisch. Halb auf der Seite. Das Gesicht auf dem Boden. Reglos. Er atmete nicht; zumindest nicht, soweit ich das erkennen konnte. NEIN! Seine Haut hatte die Farbe von Wachs. – Unter ihm war der Teppich rot … An seinem Hinterkopf waren seine Haare verklebt, darunter war eine Beule. Lieber Gott, was war hier passiert? Was? Ichdrehte ihn auf den Rücken. Sein Kopf fiel zur Seite. – Und ich starrte auf die Wunde, die an seinem Hals klaffte. Tief und ausgefranst. Die Haut darum mit getrocknetem Blut verschmiert. Die durchtrennten Adern in dem zerfetzten Fleisch unübersehbar. Ein dünnes rotes Rinnsal suchte sich seinen Weg über die Ränder abwärts … Mit einem Schlag brachen meine Eckzähne aus meinem Kiefer. Bodenlose Gier und ein ebensolcher Hunger explodierten in meinem Verstand. Die Bestie in meinem Inneren hob ihren entsetzlichen Schädel und grub mir in genüsslicher Vorfreude die Krallen in die Eingeweide. Ich konnte den Blick nicht von der feinen roten Linie nehmen, die von Juliens Hals rann … sich zu einem dunkel glänzenden Tropfen sammelte … zu Boden fiel – fiel – fiel …
Ich hörte mich selbst knurren. Meine Hand war in Juliens Nacken, hatte ihn ein Stück vom Boden hochgezogen, mein Mund schwebte nur Zentimeter über der Wunde an seinem Hals. Mit einem Keuchen fuhr ich zurück, stieß Julien regelrecht von mir. Schlaff fiel er auf den Teppich. Sein Kopf schlug mit einem dumpfen Laut auf dem Boden auf. Ich wich zurück, zurück, bis die Bettkante in meinem Rücken mich stoppte. Der Duft seines Blutes war noch immer in meinen Sinnen. Süß, unendlich süß … Ich presste mir die Hand vor den Mund, konnte meine Eckzähne unter meiner Lippe spüren. In blankem Entsetzen schloss ich die Augen. Mein Wechsel! Und Julien war mein erstes Opfer gewesen. Ich hatte ihn angerufen und er war gekommen. O Gott! O großer Gott. Ich hatte ihn umgebracht. Den Jungen, den ich liebte. Ich hatte ihn umgebracht. Nein! Nein! Nein! Ich ballte die Faust vor meinen Lippen. Drückte sie noch fester gegen meinen Mund. Das konnte nicht sein. Das konnte einfach nicht sein! Nicht Julien. Nein! Nicht Julien. Das konnte nicht sein. Meine Eckzähne ragten noch immer viel zu langaus meinem Kiefer. Nicht Julien. Das konnte nicht sein. Ich weigerte mich, das zu glauben. Ich hatte nicht gut genug hingesehen. Nicht genug nach Lebenszeichen gesucht. Lebenszeichen. Lebenszeichen. Irgendetwas. Irgendetwas. Nur weil ich nicht sehen konnte, ob er atmete, bedeutete das noch lange nicht, dass er es nicht doch tat. Und sagte man nicht, solange noch Blut floss, schlug das Herz noch? Und … und die Wunde an seinem Hals blutete noch. Also musste auch sein Herz noch schlagen. Wenn das Herz noch schlug, lebte man noch. DANN LEBTE MAN NOCH!
So schnell ich konnte, kroch ich wieder zu Julien hin. Er lag noch immer reglos in der gleichen Haltung da, wie er zu Boden gefallen war. Das Rinnsal war fast versiegt – und verstärkte trotzdem erneut den Hunger. Ich schluckte hart und trocken, versuchte ihn zurückzudrängen – zumindest so weit, dass ich an noch etwas anderes denken konnte … Meine Hände bebten, als ich sie nach Julien ausstreckte, eine in seinen Nacken schob, seinen Kopf in meine Armbeuge bettete. In meinem Kiefer pochte die Gier als dumpfes Ziehen. Ich musste nur den Kopf senken, nur den Mund auf seinen Hals legen … Nein! Nein! Nein! Julien musste leben! Er musste bei mir bleiben! Ich schluchzte auf und
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