Das Blut des Mondes (German Edition)
wollte. Soweit war sie sich sicher. Ric war der Junge, den sie wirklich liebte!
Sie wusste mittlerweile viel über seine Vergangenheit, zumindest über die, die seine Vorfahren betraf und sich mit in das Heute geschlichen hatte. Doch sie wusste wenig von seinem Leben. Dem Leben, welches er lebte oder gelebt hatte, bevor er nach Eastport kam.
Der tragische Tod seiner Mom, der ebenfalls auf den Fluch zurückzuführen war, beschäftigte Cat noch immer. Da sie selbst ihre Eltern vor einigen Jahren verloren hatte, wusste sie, dass es nicht einfach war, damit klarzukommen.
„Sie war großartig.“ Ric schluckte. „Sie war … die beste Mom, die man haben konnte. Ich habe sie sehr geliebt. Und sie mich.“ Er drückte ihre Hand und legte seine Stirn auf ihr Haar. Cat schwieg. Sie hoffte, dass er von allein weitersprechen würde, denn sie wollte ihn nicht drängen. Sie wollte ihm Zeit geben, das zu erzählen, was er preisgeben wollte. Vertrauen war das Zauberwort. Nach einer Weile ergriff er das Wort wieder.
„Auch wenn sie und Dad ahnten, dass sie nicht für immer zusammen sein würden, haben sie mich das nie spüren lassen. Ich hatte immer das Gefühl, es wäre alles normal. Mom ging mit mir auf den Spielplatz, ich hatte Freunde zu Besuch, in der Schule kam sie zu all meinen Aufführungen. Sie war immer für mich da. Und ….“ Er stockte und Cat wusste, dass er jetzt auf ihren Tod zu sprechen kommen würde. Sie kuschelte ihren Kopf tiefer in die Kuhle seiner Schulter und hielt seine Hand fest. „Als sie die Diagnose bekam, dass sie Krebs hatte … es war schlimm! Zu begreifen, dass man seine Mutter verliert ist schon hart, aber wenn sie dann auch noch so tut, als wäre das nicht schlimm und versucht, alles an Normalität aufrecht zu erhalten, was geht – das ist noch schlimmer. Ich traute mich gar nicht traurig zu sein. Denn sie war es auch nicht. Zumindest hat sie es nie gezeigt. Als sie dann im Sterben lag … oh, Cat. Es war furchtbar. Wie sie da lag, in dem weißen, sterilen Bett. Abgemagert und blass, dunkle Augenränder … Ich konnte den Anblick kaum ertragen. Aber weißt du, was das Allerschlimmste daran war?“ Cat schüttelte leicht den Kopf.
„Das Allerschlimmste war, dass ihre Augen bis zum Ende vor Leben gesprüht haben. Als wäre das nicht ihr Körper, in dem sie steckte. Als würde ein anderer gerade körperlich zerfallen, aber nicht sie. Sie hat bis zum letzten Atemzug gekämpft … und doch verloren.“
Nun war es um Rics Beherrschung vorbei. Cat spürte, wie seine Brust bebte und er zitterte. Ein leises, unterdrücktes Schluchzen kam aus seiner Kehle und seine Hand griff ihre noch fester. Cat setzte sich auf, und nahm Ric in den Arm.
Sie wusste, was es hieß zu trauern. Und diese Trauer gestand sie nun auch Ric zu. Sie ahnte, dass er nie richtig getrauert, sondern immer versucht hatte, stark zu sein. Somit war es kein Wunder, dass er jetzt, wo er sich geborgen und auch verstanden fühlte, zusammensackte.
Und sie ließ ihn.
Naturgewalten
„Irgendwie sieht er schon beeindruckend aus, oder?“ Ann hielt ihre Augen fest auf den Turm gerichtet.
„Sie“, antwortete Levian.
„Was?“
„Sie sieht beeindruckend aus.“
„Ähm … warum ‚ sie ‘?“ Das wollte ihr grade nicht in den Kopf. Hieß es nicht der Turm. Also er? Warum dann ‚sie‘? Hatte sie in der Schule etwas Wesentliches verpasst?
„Sie. Die Wächterin.“
„Sie die … was? Sorry, aber ich glaub, ich komm grad nicht ganz mit. Wieso Wächterin? Und wofür?“ Ann sah ihn gespannt an.
Sie wohnte seit ihrer Geburt in Eastport, war auch schon einige Male im Quoddy Head State Park gewesen, doch dem Leuchtturm hatte sie nie Aufmerksamkeit geschenkt, sondern jedes Mal nur nachdenklich aus der Ferne betrachtet. Ebenso war sie vorher nie zum Wasser hinunter gegangen. Sie konnte nicht sagen, warum, aber alleine der Anblick reichte, um ihr ein Gefühl der Angst in den Bauch zu jagen. Und genau aus diesem Gefühl heraus hatte sie bisher immer einen großen Bogen um den Turm und das Meer gemacht. Mit Levian an ihrer Seite war das was anderes. Mit ihm an ihrer Seite fühlte sie sich sicher und das Bauchgefühl war kaum spürbar.
Sie sah, wie sich hinter Levians Brille seine Augenbrauen zusammenzogen. Er überlegte. Ganz offensichtlich gab es eine Geschichte zu dem Turm, die er kannte. Und das brachte ihre Magenwände zum Kochen. In ihr regte sich der Gedanke, dass sich das Geheimnis um ihre innere Abneigung bald lichten
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