Das Blut des Skorpions
der Palazzo mehrfach die Besitzer gewechselt, bevor die Salvaneschis ihn vor rund zwölf Jahren erworben hatten. Die Situation in der Ewigen Stadt war schon längst viel friedlicher geworden, die Gefahr einer Besetzung durch ausländische Truppen gering, sodass der Geheimgang allmählich in Vergessenheit geraten war. Fieschi hatte ihn bei einem seiner Erkundungsgänge der antiken Katakomben, die sich unter den Straßen und Plätzen der Stadt hindurchwanden, per Zufall entdeckt. Seine genaue Kenntnis dieses unterirdischen Wegenetzes war ihm schon häufig bei seinen verborgenen Aktivitäten zustattengekommen.
Der Gang führte ans Flussufer nahe der Engelsbrücke, aber der Genueser hatte herausgefunden, dass man auch durch einen engen, in den nackten Fels gehauenen Seitengang in ihn hineingelangen konnte, einen der Ausläufer des weiten Geflechts von Katakomben, das sich unter einem Großteil des Viertels ausbreitete.
Fieschi schickte zwei seiner Männer zur Erkundung aus, die bestätigten, dass der Wohnsitz der Salvaneschi dicht von Azzolinis Wachen umstellt war, und zwar nicht nur am Haupttor, sondern auch an den Nebeneingängen. Weitere bewaffnete Männer patrouillierten um das Gebäude herum und bewachten auch die Mauer, die den kleinen, zum Palazzo gehörigen Park umschloss. Auf eine der üblichen Weisen einzudringen war also wenn nicht unmöglich, so doch recht schwierig und gefahrvoll, weshalb die Existenz eines unbekannten Zugangs einen unschätzbaren Vorteil darstellte.
Es wurde beschlossen, dass der Auftragsmörder von einem Mitglied von Fieschis Organisation begleitet werden sollte, einem erfahrenen Mann, der das Tunnellabyrinth wie seine Westentasche kannte und ihn bis zur Mündung des Gangs in einen versteckten Winkel des Parks bringen würde. Von dort an würde der Skorpion auf sich gestellt sein. Fieschi wollte nicht das Risiko eingehen, dass im Falle einer Panne sein Mann gefasst würde und die Spur bis zu ihm zurückverfolgt werden könnte. Der Führer war ein kleiner, magerer, schweigsamer Mann, der an ein leise huschendes Nagetier erinnerte.
Sie hatten die Katakomben direkt von Fieschis Haus aus betreten, durch einen engen Gang im Keller, der in eine große unterirdische Zisterne voller Schutt und Geröll hineingegraben war. Dieser Durchgang führte sie in das ausgedehnte Netz von Tunneln, das ein Randgebiet der Katakomben bildete. Der Führer bewegte sich mit sicheren Schritten durch die von seiner Fackel kaum erhellte Dunkelheit. Nachdem sie die schmalen Gänge mit den unzähligen Nischen, in denen die Knochen vieler Generationen von Römern bleichten, hinter sich gelassen hatten, kamen sie durch breitere und höhere Tunnel, deren Wände oft mit Graffiti und kleinen Freskenbildern von Fischen und Tauben – heiligen Symbolen der Frühchristen – geschmückt waren.
Sie kamen noch durch viele solcher unterirdischer Abschnitte, schlüpften durch Engpässe und stiegen vom Zahn der Zeit angenagte Treppen hinauf, bis sie sich in einer merkwürdigen kleinen Höhle wiederfanden, einer Art Grotte eher, mit lauter Stalagmiten und Stalagtiten. Diese Formationen erkannte das stets aufmerksame Auge des Skorpions sofort als künstlich, und er verstand, dass sie sich im Innern eines Zierbrunnens befanden. Das bestätigte sich, als sie auf den Ausgang zuhielten und er mehrere verfallene Skulpturen von Satyrn und Nereiden bemerkte, aus deren Mündern Wasserstrahlen hätten hervorschießen sollen. Doch der Brunnen war offensichtlich schon lange stillgelegt, was man auch an dem wild wuchernden Gestrüpp sah, welches das kleine Bauwerk belagerte.
Am Ausgang der Grotte blieb der Führer stehen. »Meine Aufgabe ist vorläufig beendet«, sagte er. »Ich werde hier auf Euch warten, bis der Mond hinter dem Palazzo verschwunden ist. Danach müsstet Ihr Euch allein durchschlagen.«
Der Park lag still und verlassen da. Weder Mensch noch Tier störte den Frieden dieses Ortes, und nur das Rascheln des Laubwerks im nächtlichen Windhauch war zu hören. Der Skorpion merkte erst jetzt, dass der Nordwind sich gelegt hatte und die Wolkendecke endlich aufgerissen war, um die Mondsichel und einen fast klaren Himmel zum Vorschein zu bringen. Je weiter er sich von dem Brunnen entfernte, desto offensichtlicher war die Vegetation von Menschenhand gezähmt worden.
Der Bereich direkt vor dem Eingang des Palazzos bestand aus einer unbegrünten Kiesfläche, wenn man von den zwei schmalen Beeten mit niedrigen Rosensträuchern absah,
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