Das Blut des Skorpions
Freundin. Und wenn der unglückliche Nanni dann endlich erkannte, was mit ihm geschah, dachte Melchiorri, zappelte er schon längst in der Falle.
Der Großmeister hatte nicht vor, das traute Beisammensein zu stören, doch als Fulminacci ihn hereinkommen sah, sprang er von der Bank hoch, auf der er wie auf glühenden Kohlen gesessen hatte, und ging kopfschüttelnd und mit resigniert ausgebreiteten Armen auf ihn zu.
»Ich halt das nicht mehr aus, Arduino.« Wenn sie allein waren, nahm sich Nanni die Freiheit, ihn bei dem Namen zu nennen, den er für seinen richtigen hielt. »Mein Gott, nach all den Gefahren, die wir auf uns genommen haben, um ihr das Leben zu retten, könnte diese Frau doch mal ein Fünkchen Dankbarkeit zeigen! Aber nein, jetzt will sie, dass ich mir die Haare schneiden lasse!«
Um seiner Empörung Nachdruck zu verleihen, wies Fulminacci auf seine volle Haarpracht, die er im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte. »Sie sagt, ich sehe aus wie ein Fuhrknecht und dass der Pferdeschwanz meiner Stellung als Künstler nicht entspricht. Seit über zwei Stunden liegt sie mir schon damit in den Ohren!«
»Die Weiber sind rätselhafte Wesen, Nanni. Unzählige Generationen von Männern haben schon versucht, sie zu verstehen, und keinem ist es gelungen. Ich fürchte, dass du nicht mehr Erfolg haben wirst.«
»Was ist das denn für eine Antwort? Was redest du da? Spinnt ihr alle?«
Entnervt blies der Maler die Backen auf, schnaubte geräuschvoll und marschierte aus dem Raum.
Beatrice indessen hatte so getan, als interessiere sie sich nicht für den Wortwechsel, und weiter eifrig ihr zerrissenes Mieder geflickt.
Melchiorri setzte sich zu ihr und verfolgte aufmerksam die geschickte Näharbeit.
»Giovanni ist wirklich ein unmöglicher Mensch«, sagte sie schließlich.
»Er ist eben jung und heißblütig. Gib ihm ein bisschen Zeit«, erwiderte der Großmeister.
»Er ist dickköpfig wie ein Maultier, aufbrausend und jähzornig. Er verkehrt in schlechter Gesellschaft, spielt, trinkt und fängt beim geringsten Anlass Streit an. Das sagt ja wohl alles.«
»Es ist weder besser noch schlechter als viele andere, Beatrice. Und du musst zugeben, dass er auch ein paar gute Eigenschaften besitzt. Er ist aufrichtig und mutig, und er hat für dich seine Haut riskiert. Du glaubst nicht, welche Mühe Zane und ich hatten, ihn davon zu überzeugen, dass ein Frontalangriff mit gezogenen Waffen nicht der beste Weg ist, dir zu helfen.«
Beatrice musste unwillkürlich lächeln.
»Ich weiß. Aber er hat wirklich ein unmögliches Benehmen. Er ist grob wie ein Galeerensträfling und völlig unfähig zu einer freundlichen Geste.«
»Ich glaube, das liegt daran, dass du ihm Angst machst. Für einen Mann wie ihn sind Gefühle dieser Art verstörend und unerträglich.«
»Ich mache ihm Angst? So ein Unsinn. Nanni fürchtet sich vor nichts. Er ist ein… ein ungehobelter Rohling!«
Melchiorri merkte, dass es noch schlimmer um sie stand, als er gedacht hatte. Das war nicht das kokette Liebesgeplänkel einer jungen Frau, der die etwas plumpen Annäherungsversuche eines hübschen jungen Mannes gefielen. Beatrice war ernsthaft verliebt. Und zwar im letzten Stadium, soweit er es beurteilen konnte. Diesmal würde Giovanni nicht so billig davonkommen. Der arme Kerl würde keine Ruhe mehr finden, weder bei Tag noch bei Nacht, bis er sich mit der jungen Dame vor einem Altar wiederfand.
Eine üble Sache, so etwas. Melchiorri hatte sich stets vor jeder festen Bindung gedrückt, denn seine Lebensweise passte nicht zu den Ansprüchen und notwendigen Bedürfnissen einer Familie. Schnell erobern und schnell verschwinden, das war sein Motto. Und wenn er hier und da ein gebrochenes Herz zurückließ, ach Gott. Das waren keine Wunden, die die Zeit nicht heilte. Während er Beatrices Klagen über die schlechten Angewohnheiten ihres Liebsten zuhörte, sah er den armen Giovanni schon von einer Schar greinender Blagen umringt. Die Vorstellung verursachte ihm eine Gänsehaut.
Er fragte sich, wie er überhaupt in die für ihn ungewohnte Rolle des Kupplers hineingeraten war. Es wurde höchste Zeit für einen strategischen Rückzug – sollten die beiden doch allein zurechtkommen. Er hatte jedenfalls nicht die Absicht, sich zum Komplizen eines solch vorhersehbaren Unglücks zu machen.
Trotzdem zögerte er aus irgendeinem Grund, Beatrice mit ihren Gedanken allein zu lassen. Er kannte sie erst seit ein paar Tagen, in denen sie obendrein die
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