Das Blut des Skorpions
Haut wies nicht das gesuchte Mal auf.
Er durfte nicht länger verweilen.
So schnell und lautlos, wie er gekommen war, verließ er das Zimmer, lief die Treppe hinunter und hinaus in den Garten, ohne sich noch einmal nach dem Krawall auf der Straße umzusehen.
Innerhalb weniger Minuten befand er sich bereits in der dichten Macchia hinter dem Stall und erklomm erneut den Hang.
Nun standen nur noch zwei Namen auf der Liste.
Nur noch zwei.
KAPITEL XLIX
Ein bisschen weiter nach rechts, Jacopo. Gut, befestige die Laterne und hilf mir, diesen Riemen um die Gelenkkupplung zu legen. Bist du sicher, dass die Lage der Drehscheibe parallel zum Fußboden ist? Das ist ein empfindlicher Mechanismus, und wenn die Scheibe nicht absolut gerade ist, kann sie sich verklemmen.«
Der Assistent prüfte, ob alles richtig angebracht war, und half dann dem Großmeister, den gezahnten Riemen um die Kupplung zu ziehen.
»Kontrollieren wir noch einmal die Gegengewichte, Jacopo, ich will nicht, dass sie von der Achsenlinie abweichen.«
»Es sitzt alles richtig, Meister.«
»Gut, dann wollen wir es mal ausprobieren. Zieht die Vorhänge zu«, sagte Melchiorri zu den beiden Dienern, die neben den Fenstern auf seine Anweisungen warteten.
Salinari zündete mit einem brennenden Docht die vier Laternen an, stellte die Blenden so ein, dass die Lichtstrahlen auf den kleinen Schaukasten fielen, und zog den Mechanismus auf.
Sogleich begann die Scheibe mit dem Schaukasten sich um die eigene Achse zu drehen, während die abgeschirmten Laternen gebündeltes weißes Licht auf dessen Inhalt warfen.
Es war ein wunderbarer Anblick.
Der kleine Bernstein war so in dem Schaukasten aufgehängt worden, dass er sich genau in der Mitte befand. Die Drehbewegung vollzog sich fließend und gleichmäßig, ohne Rucken, und die Justierung war so akkurat, dass das Objekt nicht ins Pendeln geriet.
Die Strahlen der Laternen brachten den Bernstein zum Schimmern und durchdrangen ihn, wodurch das darin gefangene Insekt sich klar und dreidimensional abzeichnete.
»Ich finde, wir haben gute Arbeit geleistet, Meister«, sagte Jacopo, »wenn man bedenkt, wie wenig Zeit wir hatten.«
»Nicht schlecht, Jacopo, nicht schlecht. Auch wenn ich die Rotation gern etwas langsamer gehabt hätte.«
Melchiorri betrachtete sein Werk ausgiebig, sichtlich zufrieden mit dem Ergebnis.
Der kleine Saal, einer der prunkvollsten des Palasts, war auf Befehl der Königin in ein Kuriositätenmuseum verwandelt worden, eine Art Außenstelle der Wunderkammer von Pater Athanasius Kircher, welcher der Monarchin einige der wertvollsten Stücke seiner Sammlung zur Verfügung gestellt hatte.
An den Wänden standen zwei Dutzend Schaukästen mit merkwürdigen, wundersamen Dingen darin, die zu sehen ein menschliches Auge nur selten Gelegenheit hat.
Große, in der Mitte gespaltene Steine, die in ihrem Innern die spiralförmigen Gehäuse enormer, geheimnisvoller Muscheln bargen. Hohe Gefäße voll Formalin, in denen Missgeburten und Missbildungen schwammen: siamesische Föten, Hände mit sechs Fingern, Steinmarder mit zwei Köpfen. Kostbare Schmuckkästchen aus Gold und Elfenbein aus dem fernen Orient und in Kalkstein eingeritzte Hieroglyphen, unter denen Tafeln mit den Erklärungen des gelehrten Jesuiten angebracht waren.
Doch das Prunkstück der Sammlung war der kleine Bernstein mit dem winzigen Skorpion.
Kardinal Azzolini persönlich hatte Melchiorri beauftragt, einen geeigneten optischen Apparat vorzubereiten, um das Schmuckstück zur Schau zu stellen und ihm den Ehrenplatz in der Mitte des Kabinetts zu geben.
Melchiorri hatte keine Fragen gestellt, doch es lag auf der Hand, dass der Kardinal den Anhänger als Köder benutzen wollte. Der Großmeister war zwar weit davon entfernt, die rätselhaften Ereignisse zu durchschauen, die sich dieser Tage in Rom abspielten, aber doch erfahren und gewitzt genug, um zu erkennen, dass das große Fest einige Überraschungen bereithalten würde.
Obwohl die Vorbereitungen fast abgeschlossen waren, lief das Personal immer noch geschäftig herum, um letzte Hand an die Feinheiten zu legen, damit alles perfekt wurde.
Die Küche des Palazzo Riario hatte sich in einen wahren Höllenofen verwandelt, in dem eine Unzahl von Speisen unter der tyrannischen Aufsicht von Bartolomeo Stefani zubereitet wurde, dem berühmtesten Koch seiner Zeit. Scharen von erhitzten Mägden stellten die gigantischen Wunderwerke aus Zucker fertig, an deren Entwurf sogar Gian Lorenzo
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