Das Blut des Skorpions
Diebstahl des Bernsteins bereits bemerkt haben und hatten die als Diener verkleideten Musketiere ausgeschickt, um nach ihm zu suchen.
Das war ein weiterer günstiger Umstand für sein Vorhaben: Je mehr Männer nach ihm Ausschau hielten, desto weniger standen für die Bewachung der Mönche zur Verfügung.
Er musste jetzt nur darauf achten, nicht den Verdacht dieser Spürhunde zu erregen. Er musste Geduld haben, den günstigsten Moment abwarten.
In aller Ruhe, ohne Eile.
Der Auftragsmörder ging auf eine Gruppe von vergnügt schwatzenden Leuten neben einem Tisch zu, an dem livrierte Diener Wein und Häppchen servierten, und führte eine der typischen Einlagen seiner Figur auf. Er richtete die Flinte auf die belustigten Gäste und sagte mit tiefer, drohender Stimme: »Geld her oder Leben, meine Herrschaften! Auf mein Wort, ich verwandele Euch sonst alle in Drosseln am Spieß!« Einen deutschen Akzent nachzuahmen fiel ihm nicht schwer. Unter dem Gelächter der Umstehenden legte der angebliche Capitan Spingarda seine Waffe an, aus der eine Rauchwolke hervorpuffte. Er täuschte einen gewaltigen Rückstoß vor und taumelte tollpatschig zu Boden, was erneut stürmische Heiterkeit hervorrief.
Während er sich noch auf dem Boden wand, sah er aus dem Augenwinkel drei vorbeigehende Musketiere, die sich ein amüsiertes Lächeln nicht verkneifen konnten.
Begleitet vom Gespött der Zuschauer rappelte der Skorpion sich mühsam auf die Beine und begann auf den Pavillon zuzugehen, der sein eigentliches Ziel darstellte, als ihn plötzlich ein seltsames Gefühl überkam und ihn kurz erstarren ließ.
Als Fulminacci seine sorgenvollen Gedanken verdrängt hatte, wandte er sich wieder bewusst seiner Umgebung zu, gerade noch rechtzeitig, um etwas zu bemerken, das all seine Sinne mit einem Schlag hellwach werden ließ.
Es war nur eine Kleinigkeit, die Andeutung einer Bewegung, die seine überreizte Wahrnehmung aus den zahllosen Eindrücken ringsum herausfilterte.
Ein leichtes Hinken.
Eine kaum merkliche Asymmetrie der Hüfte, die zu einem nicht ganz flüssigen Gang führte.
Ein Humpeln, das er schon einmal gesehen hatte.
Es bedurfte einiger Augenblicke angestrengten Nachdenkens, bis er sich erinnerte, wo. Sein Gedächtnis arbeitete mit höchster Geschwindigkeit, unterstützt von seiner langjährigen Erfahrung als Porträtmaler und einer natürlichen Begabung dafür, Besonderheiten aus dem Allgemeinen herauszuschälen und die wenigen charakteristischen Züge zu erfassen, die ein mittelmäßiges Bild in ein Werk verwandeln, das vom Leben des Dargestellten erzählt.
Ein leichtes Hinken. Ein Gang, den er bereits in einer überfüllten Kirche bemerkt hatte, einer Kirche, in der ein schreckliches Verbrechen geschehen war; den er im Gassenlabyrinth des Ghettos wieder gesehen hatte, in einer Nacht voll Tod und Hinterhalten; und den er – das wurde ihm erst jetzt bewusst – erneut in einem Theater während einer Opernaufführung beobachtet hatte.
Der Skorpion!
Die Augen des Malers schnellten durch die Menge, um dieses besondere Merkmal wiederzufinden, das ihm gerade aufgefallen war.
Sein Blick richtete sich auf einen der Schauspieler der Commedia dell’Arte, diesen Capitan Spingarda, der ihn so amüsiert hatte.
Der Mann, der ihm den Rücken zukehrte, war plötzlich stehen geblieben, wie von unsichtbaren Bändern zurückgehalten, mit steifen Schultern, mitten im Schritt. Es dauerte nur einen Augenblick. So abrupt, wie er innegehalten hatte, löste sich der Komödiant aus seiner kurzen Erstarrung und ging weiter.
Der Maler brauchte nur wenige seiner Schritte zu sehen, um unzweifelhaft den gefürchteten Mörder in ihm zu erkennen. Trotz des voluminösen Überrocks, den er trug, trotz des großen Federhuts, trotz des falschen Bauchs, trotz des langen schwarzen Bartes. Er war sicher, dass sich unter diesem Kostüm sein unversöhnlicher Feind verbarg.
Der Skorpion!
Fulminacci packte seinen Begleiter am Arm, der gerade woanders hinsah, und deutete mit dem Kopf auf den sich entfernenden Schauspieler.
»Der ist es«, sagte er knapp.
»Seid Ihr sicher?«
»Todsicher. Ich würde all meine kostbaren Pinsel aus Marderhaar darauf verwetten.« »Dann nichts wie hinterher. Er darf nicht in der Menge untertauchen.«
Inzwischen hatte die Musik gewechselt. Die Liebesarien von eben waren von einer lärmenden Fanfare abgelöst worden, die offenbar den Beginn einer neuen Vorführung ankündigte. Am Rand der Festwiese beeilte sich ein Heer von
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