Das Blut des Teufels
genommen und enthauptet worden, aber sein kopfloser Körper war angeblich nicht gestorben. Er sollte gestohlen worden und in einer heiligen Höhle versteckt sein – wo ihm ein neuer Körper wachsen sollte. Daraufhin würde Inkarri wieder auferstehen und den Inka ihren ehemaligen Glanz und Ruhm zurückbringen.
Aber das war natürlich bloß ein Mythos. Das letzte Oberhaupt der Inka war Atahualpa gewesen. Er war 1553 von der spanischen Armee unter ihrem General Pizarro an einen Pfahl gebunden und stranguliert worden. Seinen Leichnam hatte man verbrannt. Sam schüttelte den Kopf. »Wer weiß, was der Schamane sagen wollte? Vielleicht können wir morgen Denal dazu bringen, mit ihm zu reden.«
Maggie runzelte die Stirn. »Auf jeden Fall ist es seltsam. Ich dachte immer, dass der Mythos durch eine Vermischung der Geschichten von den spanischen Eroberungszügen mit biblischen Erzählungen, die die Missionare mitgebracht haben, entstanden ist. Christi Auferstehung. Merkwürdig, dass der socyoc dieses isolierten Stammes hier die gleiche Geschichte erzählt.«
»Na ja, ganz gleich, wo die Quelle ihren Ursprung hat, er wirkte auf jeden Fall verteufelt aufgeregt.«
Maggie nickte und starrte weiter über das terrassenförmig angelegte Dorf hinaus, wo die Lagerfeuer gelöscht und die Fackeln in den Sand gesteckt wurden. Dunkelheit breitete sich über die Steinhütten aus und verschlang sie. Schließlich wandte sich Maggie mit einem Seufzer ab. »Ich leg mich besser aufs Ohr. Wir haben morgen einen langen Tag vor uns. Gute Nacht, Sam.«
Er verabschiedete sich mit einem Wink und drehte sich dann zu der Schilfmatte, die über seinem Eingang hing. Als er sie beiseite schob, verschwanden die Geschichten von Inkagöttern im Hintergrund und er dachte an Maggie, wie sie zu ihm aufgeschaut hatte, ein leidenschaftliches Versprechen in ihren Augen. Die Erinnerung an die unpassende Unterbrechung versetzte ihm erneut einen Stich.
Vielleicht hatte er zu viel in diesen erhitzten Augenblick hineingelesen. Dennoch wusste er, dass das Bild ihrer Lippen seine Träume der kommenden Nacht heimsuchen würde.
Seufzend duckte er sich und betrat sein Gemach.
FÜNFTER TAG
Inkarri
Freitag, 24. August, 6.30 Uhr Cusco, Peru
Joan hatte die ganze Nacht über kein Auge zugetan. Sie saß an dem kleinen Schreibtisch in ihrer Zelle und eine winzige Öllampe warf ihren Schein auf ihr Werk. Das zerknitterte, gelbliche Papier lag auf der wurmstichigen Tischplatte. Der Bleistiftstummel in ihrer Hand war stumpf, der Radiergummi bis zur Metallhülse abgerieben. Sie hatte ihre handgeschriebene Kopie der verschlüsselten Botschaft vor sich, die sie auf der Rückseite von Bruder Francisco de Almagros Kruzifix vorgefunden hatte, und arbeitete nach wie vor an der Entzifferung der Symbole. Niemand hatte daran gedacht, ihr das Papier abzunehmen, aber wozu auch? Niemand außer ihr und Henry kannte die Bedeutung der hingekritzelten Zeichen.
Joan tippte sich mit dem Bleistift an die Lippen. »Wovor hast du uns warnen wollen?«, murmelte sie zum tausendsten Mal, seit sie nach dem Essen am vergangenen Abend in ihre Zelle zurückgekehrt war. Sie hatte nicht schlafen können, weil sie den Kopf so voll hatte: Einerseits machte ihr die Gefangenschaft Sorgen, andererseits verspürte sie aber auch Neugier, was die Enthüllungen im Laboratorium der Abtei wohl zu bedeuten hatten.
Und ihr Mitgefangener im Flur unten bot ihr keinen Trost. Nachdem Henry erfahren hatte, dass sein Neffe in Gefahr war, hatte er sich von ihr zurückgezogen. Sein Blick war hart und wütend geworden, sein Verhalten verschlossen. Er hatte während des ganzen Abendessens kein einziges Wort gesprochen und sogar sein Lammfilet kaum angerührt. Jegliche Versuche ihrerseits, seine Ängste zu zerstreuen, waren mit höflicher Zurückweisung erwidert worden.
Also war Joan voller Anspannung und Furcht in ihre Zelle zurückgekehrt. Etwa um Mitternacht hatte sie mit ihrer Arbeit an dem Code angefangen, nachdem ihre Versuche, etwas Schlaf zu finden, erfolglos geblieben waren.
Joan starrte ihr nächtliches Werk an. Große Teile der Botschaft waren übersetzt, aber noch klafften viele Lücken. Ihr bisheriger Erfolg war größtenteils dem Hinweis zu verdanken gewesen, den sie von Abt Ruiz persönlich erhalten hatte: der Name el Sangre del Diablo . Aus der großen Vielfalt der runenähnlichen Symbole hatte Joan bereits geschlossen, dass jede Einkerbung einem Buchstaben des Alphabets entsprach. Folglich ging es darum, jedes
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