Das Blut des Teufels
leicht beschwipst war. Inzwischen war die Nacht weit vorangeschritten. Sogar der Mond war untergegangen.
Lächelnd lehnte sich Maggie leicht an ihn. Er nutzte die Gelegenheit und legte einen Arm um sie. Sie entzog sich ihm nicht und machte auch keinen Witz darüber. Sam trank einen weiteren Schluck des Maisbiers. Er hoffte, dass die Wärme des Augenblicks nicht allein auf das gegorene Gebräu zurückzuführen war.
Vor ihnen begann eine neue Gruppe mit einem kunstvollen Tanz um das große Feuer in der Mitte. Die Tänzer und Tänzerinnen hatten eine goldene oder silberne Gesichtsbemalung und bewegten sich gekonnt zu einer Melodie, die auf dem Schädel eines Dschungelhirschs gespielt wurde, dessen Geweih als Flöte diente.
»Wunderschön«, meinte Maggie. »Wie ein Traum. Geschichten, die wir gelesen haben, erwachen zum Leben.«
Sam zog sie näher zu sich. »Wenn nur Onkel Hank hier sein und das sehen könnte!«
»Und auch Ralph«, sagte Maggie leise.
Sam warf der Frau in seinen Armen einen Blick zu. Mit glänzenden Augen starrte sie ins Feuer, das Gesicht in den warmen Schein getaucht.
Sie musste seinen forschenden Blick gespürt haben, denn sie wandte sich ihm zu, sodass ihre Gesichter sich beinahe berührten. »Aber du hast Recht gehabt, Sam«, sagte sie leise. »Vorhin … als du gesagt hast, die Toten würden die Lebenden nicht beneiden. Du hast Recht gehabt. Wir leben … wir sind hier. Und wir dürfen dieses Geschenk nicht mit Gefühlen der Schuld und Trauer vergeuden. Das wäre die wahre Tragödie.«
Er nickte. »Es ist falsch, das Leben so zu leben, als wäre man tot.« Seine Stimme war nur noch ein hauchiges Flüstern. Er dachte an die Jahre nach dem Verlust seiner Eltern. Er und sein Onkel hatten ihren Kummer miteinander geteilt, hatten sich gegenseitig unterstützt. In Wahrheit waren sie beide jedoch gar nicht so anders als Maggie. Zum Teil hatten sie sich genau wie sie gegen Eindringlinge von außen abgeschottet und ihre gemeinsame Tragödie dazu benutzt, andere auf Abstand zu halten. Dazu hatte er keine Lust mehr.
Sam wagte es, noch näher an Maggie heranzurutschen. Sie sah ihm mit leicht geöffneten Lippen in die Augen.
Er beugte sich zu ihr und sein Herz pochte im Einklang mit den Trommeln – da hörte die Musik plötzlich auf. Schweigen legte sich schwer über den Dorfplatz.
Bei der plötzlichen Unterbrechung sah Maggie zur Seite und damit war der intime Moment vorüber. »Die Party ist offenbar zu Ende.«
Sam wurde es eng ums Herz und ihm versagte die Stimme. Er schluckte heftig, um seine Zunge zu lösen. »Ich … ich denke, ja«, brachte er erstickt heraus.
Jemand kam zu ihnen herüber. Es war der Schamane, dessen Name, wie sie erfahren hatten, Kamapak lautete. Er zeigte ein breites Lächeln auf dem tätowierten Gesicht, als er sich ihnen über die Stufen näherte. Sam und Maggie standen auf, um ihn zu begrüßen. Er plapperte etwas in seiner Muttersprache und hob die Arme sowohl zum Dank als auch zum Abschied. Offensichtlich wünschte er ihnen eine gute Nacht. Die Feuer ringsumher wurden bereits gelöscht.
Während Sam so dastand, drehte sich ihm alles. Das hatte er dem chicha -Bier zu verdanken. Einen Atemzug lang starrte er in die erlöschenden Flammen – Spiegelbild seiner eigenen inneren Hoffnungen und Leidenschaften. Er wandte sich ab. Das Hinschauen schmerzte zu heftig.
Der Schamane geleitete Sam und Maggie zu den ihnen zugewiesenen Räumlichkeiten zurück, wobei der Inka nach wie vor aufgeregt plapperte.
Sam hätte gern Denal als Dolmetscher dabeigehabt, auch, wenn er ein paar vertraute Worte erkannte. Offenbar ging es um eine ihrer mystischen Gottheiten, Inkarri. Da er nichts verstand, lächelte Sam einfach und nickte so, wie es alle taten, die einer Sprache nicht mächtig waren.
Als sie die Hütten am Rand des Dorfplatzes erreichten, schwieg Kamapak endlich und klopfte Sam auf die Schulter.
Der Schamane neigte den Kopf und huschte davon.
Maggie blieb stehen und sah ihm nach. Sie hatte einen von den Männern getrennten Raum erhalten. Sam stand verlegen neben ihr und überlegte, ob der verstrichene Moment neu belebt werden könnte, aber Maggies nächste Worte übergossen jene glimmenden Scheite mit eiskaltem Wasser. »Was hat er da über Inkarri erzählt?«
Achselzuckend rief sich Sam das Epos der Inka ins Gedächtnis zurück. Vermutlich war Inkarri der lebende Sohn von Inti, der Sonne, und der letzte göttliche König seines Volks. Wie es hieß, war er von den spanischen Eroberern gefangen
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