Das Blut Von Brooklyn
du’s bitte an?
– Was willst du hören?
– Alles, nur nicht dich.
Sie zeigt mir den Mittelfinger, schaltet das Radio ein und findet einen Studentensender, auf dem ein Mädel zu einer akustischen Gitarre singt.
Katzenstreichelmusik nennt Evie so was.
– Okay?
– Wenn du dann die Klappe hältst.
Sie nickt und zeichnet eine kleine Spirale in den Staub auf dem Armaturenbrett.
– Wie geht’s deiner Freundin?
Ich drehe am Knopf des Radios, finde einen Jazzsender und stelle lauter. Coltrane spielt »Stardust«.
Lydia fährt durch ihr kurzes Haar.
– Du hast mich nie wieder nach HIV gefragt, nur dieses eine Mal. Hast du ihr andere Medikamente besorgen können? Haben wir deshalb gerade am Krankenhaus gehalten?
– Ihr geht’s prima.
– Das bezweifle ich, wenn sie im Krankenhaus liegt. Ich hab dir doch gesagt, dass ich Leute kenne, die dir helfen können. Ein Mitglied unserer schwul-lesbischen Gemeinschaft hat mal in einem Hospiz gearbeitet. Wenn sie Hilfe braucht, können wir bestimmt was arrangieren.
– Sie braucht keine Hilfe.
– Das Krankenhaus ist nichts für Leute, die wirklich krank sind. Dort kümmern sie sich einen Scheiß um ihre Patienten. Den Krankenversicherungen geht’s nur um die Kohle. Rein und wieder raus, schnell das Bett frei machen, um noch mehr Geld zu scheffeln. Wenn es ihr wirklich so schlecht geht, sollte sie zu Hause gepflegt werden.
Ich fädele mich in den Verkehr ein, der aus dem Brooklyn-Battery-Tunnel strömt. Im Kriechtempo schleichen wir durch Red Hook.
– Sie wird ja nicht ewig im Krankenhaus bleiben. Das wird schon wieder.
Lydia zupft an ihrem regenbogenfarbenen Ohrstecker.
– Joe, du hast doch hoffentlich nicht vor, dabei etwas nachzuhelfen?
Ich hupe, reiße das Steuer herum, überhole links auf dem Seitenstreifen und brettere, nachdem ich an dem Stau vorbei bin, wieder auf die Fahrbahn.
Lydia sieht nach, ob ihr Sicherheitsgurt richtig sitzt.
– Nur zur Erinnerung, jemanden absichtlich zu infizieren ist ein schwerer Verstoß gegen die Prinzipien der Society. Darauf steht die Todesstrafe. Dafür schmorst du in der Sonne.
Links von uns taucht der Greenwood Cemetery auf. Ich kenne den Namen dieses Friedhofs nur, weil ich darüber gelesen habe, was auch für alle anderen Örtlichkeiten außerhalb der Insel gilt. Der Friedhof wirkt irgendwie viel größer als auf dem Stadtplan.
Lydia sieht hinüber, während wir daran vorbeifahren.
– Außerdem ist das ein moralisches Problem. Welches Recht hast du, andere zu infizieren? Selbst wenn du ihr damit das Leben rettest, wer gibt dir das Recht, diese Entscheidung zu treffen? Ich persönlich glaube nicht, dass jemand das Recht hat, für einen anderen Menschen eine solche Entscheidung zu treffen.
Wir lassen den Friedhof hinter uns. Ich biege auf den Belt Parkway, der auf die Bucht zuführt, stillgelegte Docks auf der einen, der Owl’s Head Park auf der anderen Seite.
– Außerdem kannst du nicht wissen, ob es überhaupt funktioniert. Ich hab zwar noch niemanden infiziert, aber ich weiß, dass die Überlebenschance weniger als fünfzig Prozent beträgt. Und es ist ein grässlicher Tod.
Auf dem POW/MIA Memorial Parkway, von dem aus man die lang gestreckte Verrazano-Narrows-Hängebrücke sehen kann, biege ich links in westlicher Richtung ab.
Solomons Schrotflinte bohrt sich in meinen Rücken. Die .44er, die ich dem Boss der Docks abgenommen habe, liegt schwer in meiner linken Jackentasche. Ich könnte Lydia damit in die Seite schießen, die Beifahrertür aufreißen, sie rausschmeißen und die Auffahrt zur Brücke nehmen. Ich könnte den ganzen Scheiß einfach hinter mir lassen.
Lydia schaltet das Radio aus.
– Du tust, als ginge dich das alles nichts an, Joe. Aber das ändert gar nichts daran, dass du es bitter bereuen wirst, wenn du Scheiße baust und irgendetwas Grausames und Dummes anstellst. Etwas, was du nicht mehr rückgängig machen kannst.
Ich könnte Lydia umbringen und einen Neuanfang wagen. Was Neues ausprobieren.
Der erste Teil hat seinen Reiz.
Der Rest? Ich glaube nicht, dass es da draußen irgendetwas für mich gibt, was einem sterbenden Mädchen ohne Haare das Wasser reichen könnte.
Dann lassen wir die Brücke hinter uns. Wir fahren den Leif Erikson Drive entlang. Rechts von uns erstreckt sich das Meer. So nah war ich dem Ozean noch nie.
Lydia starrt auf das Wasser.
– Ich bin mal drübergeflogen. Über die ganze verdammte Pfütze. Zweimal. Das werd ich nie wieder tun.
Sie presst die
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