Das Blut Von Brooklyn
Stirn gegen die Windschutzscheibe.
– Scheißvyrus.
Ich werfe ihr einen Blick zu.
– Hast du noch Kontakt zu Sela?
Die Muskeln in ihrem Nacken zucken.
– Manchmal. Obwohl sie jetzt zur Koalition gehört, ist sie immer noch meine Freundin.
Ich sehe auf die Straße, die jetzt in einem Bogen vom Ozean weg auf den Shore Parkway zu führt.
– Sie treibt’s mit dem Mädchen.
Sie wendet sich vom Fenster ab.
– Ich weiß.
Ich fische eine Zigarette aus meiner Tasche.
Sie sieht auf den Stadtplan und deutet auf eine Straße vor uns.
– Cropsey Avenue.
Ich biege ab. Wir schweigen. An der Neptune halte ich an einer roten Ampel. Ich beobachte die Leute, die in Scharen vom Boardwalk strömen, wo die Fahrgeschäfte dunkel sind, die Spielhallen gerade dichtmachen und die Besoffenen vor dem Nathan’s auf den Gehweg kotzen.
Sie deutet erneut auf eine Straße, und ich biege rechts in die Surf Avenue.
Sie faltet die Karte zusammen.
– Liebe kennt keine Vernunft.
Ich ignoriere diesen Quatsch.
Was sie leider nicht davon abhält, weiter Müll abzusondern.
– Sela und das Mädchen empfinden etwas füreinander. Da kann man nichts machen. Außerdem geht dich das überhaupt nichts an.
Wir rollen die Seagate hinunter. Ich halte auf der Mermaid Avenue an der Ecke 37te vor dem verlotterten Ende des Riegelmann Boardwalk.
– Komisch, dass gerade du das sagst.
Ich nehme die .44er heraus, öffne die Trommel und sehe nach, ob ich sie auch wirklich mit den großen Hohlspitzkugeln geladen habe. Hab ich.
– Die Worte, das geht dich überhaupt nichts an, schwirren mir nämlich komischerweise die letzte halbe Stunde ständig im Kopf rum.
Lydia deutet auf die Waffe.
– Glaubst du, dass du die brauchst?
Ich stecke den Revolver in meine Tasche zurück, ziehe die Schrotflinte hervor und überprüfe die Kammern.
– Na hoffentlich.
Sie öffnet die Tür und steigt aus.
– Tu mir den Gefallen und fuchtle nachher nicht mit der Kanone rum.
Wir gehen die Straße hinunter. Der Wind hat Sand daraufgeweht, der unter unseren Füßen knirscht. Unser Ziel sind die flackernden Lichter am Ende der Uferpromenade.
Sie inhaliert die Seeluft.
– Riecht gut.
Ich inhaliere Zigarettenrauch.
– Stimmt.
Wir betreten den Holzsteg.
Lydia bleibt stehen.
– Das Mädchen kann vielleicht alles verändern.
Ich bleibe ebenfalls stehen.
Sie sieht auf den Ozean hinaus. Der Vollmond spiegelt sich in den Wellen.
– Das Mädchen, Joe. Sela sagt, sie kann alles verändern.
Ich lasse die Kippe fallen und drücke sie unter meiner Stiefelsohle aus.
– Red keinen Stuss, Lydia. Für so was bist du zu schlau.
Ich lasse sie stehen, schlendere weiter und betrachte das schwarze Leinwandzelt, das ein Stück unter dem Boardwalk hervorlugt. Es ist mit rotglitzerndem Lack verziert, Wimpel flattern von der mittleren Zeltstange, Fackeln brennen vor dem Eingang, und vor einem großen, im Wind knatternden Werbebanner zieht ein hochgewachsener Mann in Zylinder und Frack seine Show ab.
– FREAKS! Ganz rrrrrecht, sehr verehrte Damen und Herrn! Echte! Lebende! Freaks! Kein billiges Tingeltangel-Variete, wie ein Stück weiter den Strand runter! Das hier ist der wahre Jakob! Bärtige Frauen, tätowierte Männer und Wilde aus Borneo sind nur was für Anfänger! Unter dem Dach dieses bescheidenen Zeltes warten die grausamen Launen der Natur auf sie! Kreaturen, die das Tageslicht scheuen! Grässliche, abnormale Kuriositäten, die besser niemals das Licht der Welt erblickt hätten! Hereinspaziert, sehr verehrte Damen und Herrn, hereinspaziert! Ein Spektakel, wie Sie es noch nie gesehen haben! Eine Horrorshow! Ein blutiges Festival des Ekels erwartet Sie! Herein! Spaziert!
Lydia stellt sich neben mich.
Ich blicke sie an.
– Können wir jetzt abhauen, oder müssen wir uns den Scheiß wirklich antun?
Offensichtlich müssen wir uns den Scheiß antun.
– Sehr verehrte Damen und Herrn!
Ich schütte mir die letzten, nicht aufgeplatzten Maiskörner aus der rotweiß gestreiften Popcorntüte in den Mund und zermalme sie zwischen den Zähnen.
– Weißt du, wie mir die Show noch besser gefallen würde?
– Niemals zuvor auf einer Bühne wurde man Zeuge eines Appetits, der so groß ist wie der des... Glasfressers!
Lydia starrt durch die von Fackeln erhellte Düsternis auf die kleine Bühne, wo der Ansager die Schöße seines schäbigen Fracks zurückschlägt und sich verbeugt, während sich der Vorhang teilt und den Blick auf einen dürren Kerl im
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