Das Blut Von Brooklyn
an.
– Muss das heute Nacht passieren?
– Ja. Diese imperialistischen Aggressoren, von denen ich gesprochen habe, nach allem was man hört, sind sie bereits überall.
– Na toll.
Lydia steckt die Hände in die Taschen ihrer Carhartt-Jacke.
– Nur Freitagnacht nicht. Wenn wir uns also nicht mit ihnen anlegen wollen, müssen wir das jetzt durchziehen.
Warum, zum Teufel, konnten sie nicht Hurley mitschicken?
– Das ist hochpolitisch. Jede Entscheidung ist politisch, aber die ganz besonders. Wenn du eine von den Dingern in den Mund steckst, anzündest, inhalierst und andere Leute den Rauch einatmen lässt, triffst du eine politische Entscheidung.
Mit Hurley im Schlepptau hätte ich in Ruhe rauchen können, ohne mir diesen Scheiß anzuhören.
– Sieh mich nicht so an. Nur weil der Rauch mir oder dir nichts anhaben kann, ist das noch lange keine Rechtfertigung. Klar, uns plagt eine Krankheit, die uns stärker macht und gleichzeitig behindert, aber wir dürfen nicht vergessen, dass auf dieser Welt noch andere Menschen leben. Das ist die größte Gefahr, die den Zielen der Society droht. Die Tatsache, dass wir Blut zum Überleben brauchen, wird für die nichtinfizierten Menschen eine große psychologische Hürde darstellen. Aber dieses Bedürfnis ist auch für die vyral Betroffenen unter Umständen ein gewaltiges Problem. Es ist doch offensichtlich, dass der Konsum des Blutes nichtinfizierter Menschen geradezu einlädt, diese Nichtinfizierten als irgendwie weniger real zu betrachten. Wir können es uns nicht erlauben, dass sich diese Art von Elitismus oder Überlegenheitsdenken in unseren Köpfen festsetzt. Rauchen und andere Menschen durch Passivrauchen umzubringen, das ist politisch, Joe. Ob dir das nun gefällt oder nicht.
Erneut halte ich Lydia das Päckchen hin.
– Willst du jetzt eine oder nicht?
Sie lässt sich wieder in den Sitz zurückfallen.
– Lass ja das Fenster offen, okay? Ich hasse den Gestank dieser beschissenen Dinger, und ich will nicht, dass er hier überall im Lieferwagen ist.
Ich zünde mir die Zigarette an.
– Klar lass ich das Fenster offen. Wohin zum Teufel soll ich denn meine Kippen werfen?
Sie starrt aus dem Beifahrerfenster.
– Irgendwann, Joe, wird dein Karma wie Scheiße auf dich runterregnen.
– Wo es mich doch bisher immer so verwöhnt hat.
– Ja, und zwar ohne, dass du es überhaupt mitkriegst.
– Wie du meinst.
Ich stelle den Ford Econoline ab und öffne die Tür.
Lydia liest das Schild über dem Laden und schüttelt den Kopf.
– Nein. Nein, du wirst nicht unter Alkoholeinfluss fahren.
Ich steige aus dem Lieferwagen.
– Halt die Luft an. Das ist nicht für mich.
Im Beth Israel finde ich meinen Pfleger und gebe ihm seine Flasche Gilbey’s. Er öffnet den Aufzug mit seiner Codekarte und lässt mich auf Evies Station raus. Die Nachtschwester springt hinter dem Empfangstresen auf und will nach dem Telefon greifen, doch der Pfleger steckt ihr die zwanzig Mäuse zu, die ich ihm gegeben habe, und sie verschwindet den Gang hinunter ins Badezimmer.
Der Pfleger nimmt einen Schluck aus der Pulle.
– Fünf Minuten.
Ich gehe in Evies Zimmer. Die Vorhänge um ihr Bett und um das der alten Frau sind zugezogen. Ich schiebe Evies Vorhänge beiseite.
Sie sieht zum Fürchten aus.
In einem der Infusionsbeutel ist Nährlösung, im anderen Morphin. Offensichtlich hat sie nach der Chemotherapie schlimme Krämpfe bekommen, wahrscheinlich einige Stunden lang schlimm würgen müssen und nicht schlafen können. Eine Trachealkanüle steckt in ihrem Hals. Das ist neu.
Ich erinnere mich an den Abend, an dem wir uns kennenlernten.
Ich überlege mir, ob ich mit der Hand das Ende der Kanüle zuhalten soll.
Ich berühre den Schorf, der sich auf dem Teil meines Ohrs gebildet hat, das mir der Graf nicht vom Kopf gerissen hat. Ich frage mich, ob ich ihn nicht abkratzen, mich über das Bett beugen und die Wunde auf Evies Lippen legen soll. Dann würde ich herausfinden, aus welchem Holz sie wirklich geschnitzt ist.
Und aus welchem Holz ich geschnitzt bin.
Ich nehme die Krankenakte vom Ende ihres Bettes, überfliege sie, werde nicht schlau daraus und lege sie wieder zurück. Dann fische ich das Halsband aus Brausebonbons aus der Tasche und lege es auf ihren Nachttisch. Ich habe einfach nicht den Mumm, etwas zu tun, das ihr wirklich helfen könnte.
Die Nachtschwester sitzt wieder auf ihrem Platz. Ich baue mich vor ihr auf. Sie riecht nach einer anderen
Weitere Kostenlose Bücher