Das Blut Von Brooklyn
Kumpel. Tut mir leid. Ich bin ein Spaßvogel. Ich hab zwar zum Glauben gefunden, aber Disziplin hab ich immer noch keine.
Ich lasse meine Knöchel knacken.
– Ja, das merke ich.
Er hört auf zu lachen.
– Das nennt man Humor, Kumpel. Versuch’s mal damit.
Er deutet nach oben.
– Da. Die Leiter rauf, Kumpel.
Ich leuchte die Wand hoch und sehe Leitersprossen, die in den Beton eingelassen sind und zu einer Falltür führen.
– Die Falltür führt in eine Seitenstraße. Vielleicht stehen ein paar Müllcontainer drauf, aber jedenfalls ist kein Schloss dran. Ist das okay für dich?
Ich leuchte wieder auf den Boden.
– Ja, ist okay.
Er streckt den Arm aus, nimmt mir die Taschenlampe ab und schaltet sie aus. Wir stehen im Dunkeln.
– Tja, dann mal rauf mit dir.
Ich klettere hoch.
Oben angekommen drücke ich mit der Schulter gegen die Falltür. Ich höre, wie ein paar Mülltonnen umfallen, dann öffnet sich die Falltür und die blinkenden Lichter Manhattans erscheinen in dem schmalen Stück Himmel über der Seitenstraße.
– Kumpel, hey, Kumpel.
Ich sehe in den schwarzen Tunnel hinunter.
– Ja?
– Willst du wirklich abhauen? Denk noch mal drüber nach. Was glaubst du, was früher oder später passieren wird?
– Was wird passieren?
– Früher oder später werden sie uns entdecken, Kumpel. Scheiße, vielleicht wissen sie ja schon Bescheid. Wie sollte es auch anders sein? Sie warten, bis sie so weit sind, bis sie alle Vorbereitungen getroffen haben, und dann jagen sie uns. Klingt doch plausibel, Kumpel. Doch, doch. Von meinem religiösen Eifer abgesehen leiste ich mir keine anderen Illusionen. Was glaubst du wohl, wieso ich hier unten bleibe? Was ist denn da oben? Denk nach. Es ist nicht natürlich. Du lebst ein Leben, das dir gar nicht mehr gehört, stimmt’s? Mehr ist da nicht, Kumpel. Hier unten bin ich so sicher wie in Abrahams Schoß. Hier ist keiner hinter mir her. Wenn ich einem Penner Blut abzapfe, interessiert das niemanden. Keiner ruft die Bullen. Kumpel, hier unten bin ich an der Spitze der Nahrungskette. Hier unten kann ich’s ewig aushalten. Wenn ich Lust dazu habe. Denk drüber nach. Du gehörst hierher. Wir alle gehören hierher, Kumpel.
Ich sehe zum Himmel auf.
– Wahrscheinlich hast du Recht. Aber da oben gibt es jemanden.
– Aha. Na ja, das ist was anderes.
Ich spähe wieder in das Loch hinunter.
– Wie heißt du, Alter?
– Joseph. Und du?
Ich halte einen Moment inne.
– Simon.
Ich höre, wie sich seine Schritte entfernen.
– Bis bald, Simon.
Ich klettere auf die Straße und schließe die Falltür.
Auf dem Nachhauseweg gehen mir alle aus dem Weg, weil ich so erbärmlich stinke.
Ich will in mein Appartement.
Wo mein Blut ist und meine Waffen.
Ich kann es kaum erwarten, Blut im Bauch und eine Pistole in der Hand zu haben. Ich kann an nichts anderes denken, und deshalb sehe ich auch Lydias Gorillas nicht. Nur das Tattoo auf den Knöcheln der Faust, die in meinem Gesicht landet.
ZORN.
– Ich bemühe mich, Joe. Ich bemühe mich mehr als die meisten, bei deiner Klugscheißerei nicht die Fassung zu verlieren. Ich versuche zu begreifen, dass du aus irgendeinem Grund so bist, wie du bist, aber selbst mein Mitleid und meine Geduld haben Grenzen.
Lydia deutet auf einen Stuhl, und ihre Gorillas setzen mich darauf.
– Aber du treibst es auf die Spitze. Immer, wenn ich denke, dass du doch etwas Anstand in dir hast, versaust du alles.
Sie führt die anderen Frauen zur Küchentür und scheucht sie aus dem Raum. Dann schließt sie die Tür und dreht sich zu mir um.
– Was mich wirklich ankotzt ist, dass dein Verhalten mich dazu zwingt, Dinge zu tun, die nicht meiner Natur entsprechen. Und am Ende mache ich die Sachen, die Tom auch gemacht hätte. Hast du eine Ahnung, wie ich mich dabei fühle? Ungesund. Jawohl. Und das hasse ich. Aber eins sag ich dir.
Sie durchquert den Raum.
– Dass du auf mich geschossen hast, bringt das Fass zum Überlaufen.
Sie hat einen Tag gebraucht, um wieder auf die Beine zu kommen. Sie hat sich weiß Gott woher einen Vorrat an organischem, hormonfreiem Blut aus Freilandhaltung besorgt, das nicht gegen ihre Prinzipien verstößt. Noch ist sie nicht völlig auf dem Damm, die Sache in Brooklyn und der Schuss aus meiner Waffe waren selbst für sie zu viel. Trotzdem ist sie unglaublich fit. Die Faust, die sie in meinen Bauch rammt, bringt da drinnen irgendetwas zum Zerreißen, was sehr weh tut. Der nächste Schlag wird ein Loch in
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