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Das Blut Von Brooklyn

Das Blut Von Brooklyn

Titel: Das Blut Von Brooklyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlie Huston
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Straße weg entführt. Das ist lange her, Kumpel, lange her. Weißt du, wie lange?
    – Nein.
    – Ich auch nicht, Kumpel. Ich auch nicht.
    Er hebt warnend die Hand, und wir ducken uns hinter Stahlträgern und warten ab, bis ein Reparaturteam der Stadtwerke in orangefarbenen Warnwesten und Helmen den Tunnel durchquert hat. Die Männer schleifen Werkzeugtaschen über die Gleise, fluchen und erzählen sich schmutzige Geschichten.
    Er winkt, und wir schleichen weiter, folgen der dritten Gleisspur.
    – Einem von denen ist aufgefallen, dass ich zur Enklave gehöre. Hat mich gesehen, als ich aus einer Kneipe in der Bowery gestolpert bin und hat’s gerochen. Tja, das Vyrus lügt nicht. Heißt es zumindest.
    Er bleibt stehen und deutet in den Tunnel, in dem die Arbeiter verschwunden sind.
    – Das ist ’ne Sackgasse. Vielleicht wollen sie da irgendwas verschrotten oder so. Oder sie pfeifen sich was rein. In dem Tunnel leben Penner, die Arbeiter werden sicher ein paar davon aufscheuchen. Das machen sie echt gern. Penner, Kumpel, in allen Sackgassen sind Penner. Außer in meinem Tunnel natürlich. In meinem Tunnel leben nur ich und ein paar Ratten, Kumpel. Ich und die Ratten.
    Er geht weiter.
    – Daniel hat mir sein Blut gegeben. Das will schon was heißen. Mir ist das scheißegal, aber ihm hat’s viel bedeutet. Hat’s zwar nie zugegeben, aber hat ihm viel bedeutet. Er hielt alle, denen er das Vyrus gegeben hat, für was Besonderes. Aber wie gesagt, mir war’s scheißegal.
    Er hält wieder inne und geht in die Hocke. Ich lehne mich gegen einen Stahlträger und strecke mein Bein.
    – Die Stille, die hat mir den Rest gegeben, Kumpel. Ist dir schon mal aufgefallen, wie still es dort ist?
    – Ja.
    – Scheißstille. Jeder meditiert und grübelt und denkt über das Vyrus nach. Scheiße. Ich wollte mich unterhalten, Kumpel. Mann, ich wär’ da fast durchgedreht.
    Er breitet die Arme aus.
    – Jetzt schau mich an. Weißt du, wie oft ich hier mal ’ne gepflegte Unterhaltung führen kann, Kumpel? So gut wie nie. Ich red schon mit den Ratten. Erzähl’ ihnen, was mir so durch den Kopf geht. Weißt du, was mir grade durch den Kopf geht?
    – Nö.
    – Dass die Arschlöcher endlich mal jemanden ins Loch werfen könnten, der sich nicht bei der ersten Gelegenheit das Licht ausbläst. Also jemand, mit dem man ein paar Takte reden kann. Aber nein, ich erwische einen einsilbigen Hurensohn wie dich, Kumpel. Das geht mir grade durch den Kopf.
    – Hm.
    – Ja.
     
    – Ich hab einfach keine Disziplin, Kumpel. Das war schon in der Army mein Problem. Weißt du, wie oft ich in der Arrestzelle war? Genau einmal, Kumpel. Nur ein einziges Mal, da war ich besoffen und hab meinem Zimmergenossen mit dem Bajonett das Ohr abgeschnitten. Nachdem ich meine Zeit abgesessen hatte, haben sie mich natürlich sofort entlassen. Und dann dieses Lagerhaus, Kumpel. Ist ein Scheißwunder, dass ich überhaupt einen einzigen Tag durchgehalten hab. Aber wer hätte es gedacht, es waren glatt ein paar Jahre. Das lag nur an Daniel. Hast du den Alten gut gekannt, Kumpel?
    Er klettert auf einen stillgelegten Bahnsteig und streckt mir die Hand hin.
    Ich ergreife sie, und er zieht mich hoch.
    – Wir haben ein paar Mal miteinander geredet.
    – War ’n ziemlich rätselhafter Kerl, oder?
    – Stimmt.
    – In die Sonne, ja?
    – Hm.
    – Scheiße.
    Er führt mich zu einem verrosteten Gatter und rüttelt daran. Es öffnet sich quietschend.
    – Da runter.
    Ich folge ihm.
    Er dreht sich zu mir um.
    – Brauchst du die Taschenlampe?
    Die roten, gelben und blauen Lichter im Tunnel hinter uns werden immer schwächer.
    – Ja.
    – Hier.
    Er reicht sie mir und ich richte sie auf den Boden. Selbst das reflektierte Licht ist viel zu hell für meine Augen.
    Er tritt einen Haufen alter Lumpen aus dem Weg.
    – Der Alte hatte mich ins Herz geschlossen, sonst hätt’ ich nie so lange durchgehalten. Ich sag’s dir, Kumpel, er hatte die Problemfälle am liebsten. Es gefiel ihm, wenn einer da nicht reinpasste. Was würde er wohl jetzt zu mir sagen, hä? Ich sag dir, der würde mich nicht mal mehr erkennen, Kumpel. Auf keinen Fall.
    Er tätschelt seinen Bauch.
    – Ich war fett, Mann. Jedenfalls nach Enklave-Maßstäben. Ich war eine fette Sau. Fasten, dass ich nicht lache. Meine Familie war bettelarm. Deshalb bin ich ja überhaupt zur Armee, ich wollte endlich mal genug zu essen haben. Und die wollten, dass ich absichtlich nichts esse? Weißt du, was ich da für einen Sinn drin

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