Das Blut von Magenza
nicht annähernd so weit wie der des Bischofs. Und da die Kirche stets bestrebt war, den eigenen Machtbereich auszudehnen und dies auf Kosten der weltlichen Amtsinhaber geschah, blieben Konflikte nicht aus. Augenblicklich herrschte allerdings eine Art Burgfrieden zwischen den Parteien, was nicht nur für die Bürger von Mainz von Vorteil war.
Aufgrund dieser Animositäten sah es der Erzbischof nicht gern, wenn einer seiner Geistlichen im Haus des Stadtgrafen verkehrte – außer er versprach sich einen Nutzen davon. Aber heute scherte sich Manegold nicht um irgendwelche Befindlichkeiten. Der Mord an Bruder Anselmbetraf beide Amtsinhaber gleichermaßen und hatte Vorrang gegenüber politischem Gerangel.
Am bischöflichen Palast erfuhr der Abt, dass Ruthard so schwer erkrankt war, dass bis auf wenige Ausnahmen niemand zu ihm durfte. Embricho, der erzbischöfliche Kämmerer, war ein enger Vertrauter und Verwandter Ruthards und fungierte deshalb momentan als sein Stellvertreter. Deshalb schickte man Manegold zu ihm, worüber er nicht gerade glücklich war, denn Embricho rief zwiespältige Gefühle in ihm hervor. Was Finanzen anbelangte, war er überaus kompetent und hielt das Kapital der Kirche zusammen. Zudem fand er stets neue Einnahmequellen, was ihm manchmal den Unmut der Gläubigen bescherte. Auch wenn er in Gelddingen unbeirrbar und unnachgiebig war, offenbarte er eine Schwäche: Embricho aß für sein Leben gern. Dieser unselige Hang zur Völlerei spiegelte sich in seinem Erscheinungsbild, denn er sah aus wie ein wandelndes Fass auf zwei Beinen. Beim Gehen watschelte er wie eine Ente und schnappte selbst bei der kleinsten Anstrengung nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen.
Doch seine Behäbigkeit täuschte. Hinter der schwerfälligen Fassade verbarg sich ein messerscharfer, analytischer Verstand und er war ein gewiefter Fädenzieher, der über alle Vorgänge innerhalb der Stadt, des Erzbistums und des Reiches Bescheid wusste. Es wurde sogar behauptet, er verfüge über ein Netz von Informanten, das bis an den kaiserlichen Hof und nach Rom reichte. Kam ihm jemand in die Quere, zeigte er keine Milde, notfalls schaffte er unliebsame Gegner kurzerhand beiseite. Manegold glaubte diese Gerüchte unbesehen, hieß aber weder Embrichos Einfluss noch dessen ominöse Verbindungen gut, genau diese konnten nun für ihn von Vorteil sein. Wie er denKämmerer kannte, würde er nichts unversucht lassen, das Verbrechen aufzuklären.
Anwesen des Kämmerers
Der Abt traf Embricho gerade während der Morgenmahlzeit an. Kauend begrüßte er ihn. „Manegold! Welch seltener Gast in meinem Hause. Kann ich dir etwas anbieten?“, fragte er und deutete auf die üppig gedeckte Tafel.
„Nein, danke. Ich speise nur einmal am Tag und dafür ist noch nicht der rechte Zeitpunkt“, meinte der Abt mit verhaltenem Vorwurf, den der Kämmerer wie üblich geflissentlich überhörte.
„Dann setz dich wenigstens und erkläre mir, was dich hierher führt.“
„Eine traurige Nachricht, Bruder Anselm ist tot.“
Der Kämmerer schluckte schwer und unterbrach seine Mahlzeit. Durchdringend schaute er Manegold an. „Es muss etwas Ungewöhnliches am Tod von Anselm sein, dass du deshalb zu mir kommst. Habe ich recht?“
„Wie es scheint, starb er nicht auf natürliche Weise, sondern durch Gewalt“, bestätigte der Abt und berichtete, was Bruder Lukas entdeckt und welche Schlüsse er daraus gezogen hatte.
„Mord? Und Lukas ist sich sicher?“
„Alle Fakten weisen darauf hin.“
„Und jetzt möchtest du wohl, dass sein Tod näher untersucht wird?“, schlussfolgerte Embricho richtig.
Der Abt nickte. „Das sind wir Anselm schuldig, und außerdem darf eine solche Freveltat nicht ungesühnt bleiben.“
Embricho überlegte nicht lange. Er glaubte zwar nicht, dass ein Mysterium hinter Anselms Tod steckte, aber einMord war ein Mord und somit eine Todsünde. Der Mönch war zwar keine bedeutende Persönlichkeit gewesen, aber immerhin ein Mann Gottes, genau wie er selbst. Wenn er tatsächlich gewaltsam getötet worden war, dann musste sein Mörder bestraft werden. Außerdem wollte er es sich nicht mit Manegold verderben, denn die Abtei war reich und davon profitierte auch die Kirche.
„Da stimme ich dir zu. Ich werde höchstpersönlich eine Untersuchung veranlassen und Hanno mit dieser Aufgabe betrauen. Er ist der richtige Mann dafür. Wo andere versagen, hat er Erfolg. Dennoch kann ich dir keine Versprechungen machen. Bedenke, dass einige Zeit
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