Das Blut von Magenza
kein Fehler gewesen, es auch zu tun. „Wie geht es Sara und Mutter?“
„Ich weiß es nicht. Aber das Kloster wurde verschont. Deshalb ist ihnen bestimmt nichts geschehen.“
„Conrad, ich habe Durst und Hunger.“
„Hier hast du Wasser und etwas Brot.“ Der Mönch reichte ihm beides, froh, dass der Knabe sich nicht ganz aufgegeben hatte.
Die Brandherde in der Burg waren gelöscht und die Angreifer abgezogen, nachdem sie mitgenommen hatten, was sie tragen konnten. Reinhedis hatte inzwischen mit den Kindern den Geheimgang verlassen und sie in einem Teil des Hauses einquartiert, der weitgehend intakt war. Sie sollten weder die Toten noch das Ausmaß der Verwüstung zu Gesicht bekommen. Die nächsten Wochen würden schwer genug für sie werden. Sie selbst hatte den Mut aufgebracht und sich hinausgetraut. Das Grauen, das sie dort erblickte, ließ sich nicht in Worte fassen. Unter Tränen hatte sie ein Stoßgebet zum Himmel geschickt, um für das Seelenheil der Erschlagenen zu beten, egal welchem Glauben sie angehörten.
Glücklicherweise hatte Gerhard nicht nur seine Familie in Sicherheit gebracht, sondern auch etliche Vorräte und den Großteil ihrer Wertsachen im Geheimgang verstaut. So blieb ihnen der Hunger für die nächsten Tage erspart. Zwar hatten die Pilger nicht bis in die privaten Gemächer vordringen können, das wussten die Soldaten zu verhindern, trotzdem war der Schaden an der Burg immens. Es würde einige Zeit dauern, bis alles wieder instand gesetzt war. Doch das kümmerte Reinhedis im Augenblick wenig, wenn nur Gerhard wieder gesund wurde. Seine Verletzungen waren glücklicherweise nicht so schlimm wie zunächst befürchtet. Jetzt saß sie an seinem Bett und wachte über ihn.
Im Anwesen des Kämmerers hatte sich die Aufregunggelegt, die nach der Rückkehr der Männer ausgebrochen war. Die Wunden von Graf Bolko und des Soldaten waren versorgt und die Frauen verließen ihr Versteck. Widukind hielt es für sicherer, im gutbewachten Anwesen des Kämmerers zu übernachten, solange Pilger marodierend durch die Gassen der Stadt zogen. Zuvor holte er aber noch Saras Schmuck und Geld sowie einige persönliche Dinge, die für ihn von Wert waren, aus seinem Haus.
Hanno hatte das Kruzifix wieder in seinen ursprünglichen Zustand versetzt und an seinen angestammten Platz gehängt. Nach Tagen der Anstrengung fand er endlich Zeit, sich ungestört mit Yrmengardis zu unterhalten. Sie hatte sich in den letzten Tagen verändert und wirkte entscheidungsfreudiger und selbstbewusster. Das Zögerliche von früher war weitgehend verschwunden und ihm gefiel, dass sie ihre Fragen jetzt offen stellte. „Warum hast du eigentlich Griseldis in dieses Haus gebracht? Bist du etwa ihr Beschützer?“
„Nein, sie ist mit dem Sohn des Tuchmachermeisters verlobt. Aber dieses Anwesen bietet mehr Sicherheit.“
„Sie ist sehr schön“, gab sie unumwunden zu. „Und du verschweigst mir auch nichts, was sie anbelangt?“, argwöhnte sie, denn Griseldis hatte in ihrer Gegenwart eine Bemerkung über ihre Beziehung zu Hanno fallen lassen, die sie misstrauisch machte.
Hanno bemühte sich, ihre Zweifel auszuräumen. „Sie bedeutet mir nichts – ganz im Gegensatz zu dir. Aber sie kann mir möglicherweise von großem Nutzen sein. Jetzt, wo der Kämmerer sich nicht mehr in der Stadt aufhält, ist meine Zukunft ungewiss. Wer weiß, ob er jemals zurückkehren wird oder mich holen lässt. Sollte er Mainz für immer fernbleiben, brauche ich einen neuen Dienstherrnund sie kann mir möglicherweise dazu verhelfen.“
Yrmengardis überlegte einen Moment, denn sie verstand nicht ganz, was er damit meinte. „Und wenn Embricho doch nach dir verlangt?“
„Dann weiß ich noch nicht, ob ich ihm Folge leisten werde.“
„Du verweigerst ihm den Gehorsam?“, flüsterte sie erschrocken.
„Er hat es verdient“, entgegnete Hanno kalt. „Aber das erkläre ich dir ein anderes Mal. Griseldis soll sich für mich bei Kaiser Heinrich verwenden, sodass ich möglicherweise bald eine bessere Stellung bekomme.“
„Verfügt sie denn über solchen Einfluss?“
„Ja“, erwiderte Hanno.
„Und das ist der einzige Grund, warum du mit ihr zu tun hast?“
„Ja, das musst du mir glauben. Mein Herz schlägt nur für dich und für keine andere.“
Mittwoch, 28. Mai 1096, 4. Siwan 4856
In der Stadt
Noch während der Nacht hatten sich etliche Bürger, die der plündernden Pilger überdrüssig geworden waren, in Gruppen zusammengetan und die
Weitere Kostenlose Bücher