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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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niemals ihr Los. Wenn sie von übler Laune überwältigt wurde, fluchte sie – über den Altersheimdirektor etwa: »Ich würde mich weigern, mit seinem Schnurrbart mein Häusel aufzuwischen« –, um sich durch solche Vorstellungen schnell wieder in lachlustige Stimmung zu manövrieren. Sie war jetzt alt, aber sie sah eigentlich noch genauso aus wie auf dem Bild, jedenfalls wenn man sie im Gegenlicht sah. Sie versuchte stets, mit dem Rücken zum Fenster zu sitzen, obwohl es dort zog, deswegen traten ihr die anderen alten Frauen im Zimmer den Platz gern ab.
    Maruscha sah den Telephonaten mit ihrer Freundin mit Sehnsucht entgegen. Diese Gespräche waren ihr Lebenselixier; obwohl sie nun schon so lange in Deutschland lebte und es von Anfang an gut getroffen hatte, und obwohl ihre Lebensumstände heute seit langem alles übertrafen, womit Kasia im von der Geschichte vielfältig geschlagenen Polen je hätte rechnen dürfen, war die Ältere ihre Lehrmeisterin geblieben. Erstaunlich genug war sie es, die Maruscha die Welt erklärte, die sie anleitete auf verschlungenen Wegen und die mit den Situationen, in die Maruscha geriet, höchst vertraut schien, ähnliches selbst mehrfach erfahren und überlebt haben wollte und die Zukunft einzuschätzen verstand – was heißt Situation, was heißt Zukunft, es ging immer um Männer, und da fühlte sich Maruscha, wenn sie Kasia zuhörte, augenblicklich als ahnungslose Neophytin. Es war ein begieriges Lauschen. Sie bekam nie genug davon, an diesen Lebensschätzen teilzuhaben, aber sie lernte nicht eigentlich dabei, deshalb war der Titel einer Lehrmeisterin für Kasia doch vielleicht unbedacht gewählt. Kasia sprach aus einer Position unbesiegbarer Überlegenheit über die Männer. Es ging nicht ohne Männer, aber die Männer waren durchschaubare kleine Buben, leicht lenkbar, leicht einzufangen, leicht abzustoßen, und das alles, so berauschend es klang, entsprach Maruschas Erfahrung nicht. Sie spürte diese Überlegenheit nicht in sich, so gern sie in Gedanken ausprobierte, auf Kasias Wegen zu wandeln. Es waren ganz andere Empfindungen, die Männer in ihr auslösten. Sie war überaus bereit zu bewundern, wenn es nur ein bißchen zu bewundern gab, ja, sie war imstande, etwas, das sie bewundern konnte, bei einem Mann auszugraben, und wenn er es noch so gut versteckte. Sie kannte auch das Gefühl der Rührung gegenüber Männern, und sie ließ sich gern von ihnen unterstützen und beschenken – in wachsendem Maß, in größerem Stil, ohne dabei je die Empfindung aufrichtiger Dankbarkeit zu verlieren. Kasia hatte das Format zu einer echten und verletzenden Damenkälte, die in Maruschas Ohren um so verführerischer klang, als die Ältere ihr gegenüber nur Zärtlichkeit kannte, mit gerade genug Spott, um Maruscha nicht Tränen in die Augen zu treiben.
    Mit der Verbindung zu Wereschnikow war Kasia einverstanden. Sie erklärte nach genauerem Verhör, sie vermute, der Mann sei »comme il faut«, ein geeigneter Begleiter. Den Typus kenne sie, man müsse nur verhindern, daß er zuviel Platz einnehme. Breegen mochte sie nicht, obwohl Maruscha den Versuch unternahm, ihn der Freundin schmackhaft zu machen. Auch die Andeutung, die neuerlich großzügigere Unterstützung, die in Lublin eintraf, komme nicht ohne Breegens Freigebigkeit zustande, beeindruckte nicht. Bei Kasia mußte aufgrund irgendwelcher Signalwörter in Maruschas Reportagen der Eindruck entstanden sein, Breegen sei »spießig«, und dann war sie stets gnadenlos. Daß, was Kasia als spießig verurteilte, nur seinen persönlichen Geschmack betraf, nicht aber sein wahrlich kondottierehaftes, bis zum Glücksspielertum reichendes Geschäftsgebaren, diesen Irrtum zu beheben waren Maruschas Informationen zu ungenau, sie interessierte sich auch zuwenig dafür, woher die Leute ihr Geld hatten. Kasia langweilte sich nie, wenn Maruscha vom Hin und Her zwischen Wereschnikow und Breegen erzählte, ebensowenig wie sie der Tonleitern überdrüssig geworden wäre, die sie ihre schöne Gesangsschülerin vor fünfundzwanzig Jahren hatte singen lassen, obwohl sie frühzeitig bemerkte, daß Maruscha die terrierhafte Verbissenheit des Übens, die wirkliche Kraft, sich durch Hindernisse durchzubeißen und es erst recht zu versuchen, wenn sich jeder Erfolg zu verweigern schien, nicht aufbringen würde.
    Eine Erneuerin von Kasias Kunst konnte Maruscha nicht werden, aber als Siegerin des Lebens, unwiderstehlich zu Erfolgen gelangend, die der Sängerin

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