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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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verschwinden, unsichtbar werden. Hier wurde ein panisches Element ihres Wesens sichtbar, aber solche Panik bildete auch nur eine Vorstufe für den eigentlichen Befreiungsakt, der die Dinge wieder ins Lot brachte, den großen, von ihrer ganzen Person, von jeder ihrer Zellen getragenen Wutausbruch.
    Ich weiß nicht, warum die Bombe erst bei mir platzte. Ihren Abgang aus dem Haus Colisée muß sie als zutiefst unbefriedigend empfunden haben. Es arbeitete weiter in ihr. Vermutlich war es meine zufällige Erwähnung des Namens Winnie, was die Explosion hervorrief. Ich plauderte gerne mit ihr und hielt sie von der Arbeit ab; mein Verhältnis zu ihr entsprach überhaupt nicht dem simplen und formlosen Dienstvertrag, der uns mehr als lose verband, eher einem feudalistischen Abhängigkeitsverhältnis nach Art von Diderots »Jacques le Fataliste«, in dem der »Herr« seinen Eigenwillen aufgegeben und sich ganz dem Diener untergeordnet hat.
    Ich habe niemals ein Gesicht sich derart verändern sehen. Es erstarrte. Die Augen wurden feuerrot. Es war, als ergieße sich eine Lavaglut in ihrem Innern. Ich fürchtete, sie werde Blutstropfen weinen. Sie war zur Meduse geworden. Ihre Stimme war heiser und tief, als sei sie von einem bösen Geist besessen. Ihre Stirn schien phosphoreszierend zu leuchten, weil sie gegen die Verdüsterung der Augen so scharf abstach.
    Was alles habe sie hinter sich gebracht und ausgehalten in dieser Stadt. In welcher Armut habe sie hier gelebt. Ihr erstes Zimmer sei genauso breit gewesen wie das Bett. Es war eine Schublade ohne elektrisches Licht, dort habe sie mit Stipo anderthalb Jahre gelegen. Sie sei damals so erschöpft gewesen, daß sie mehrfach in der letzten Straßenbahn eingeschlafen sei, um dann im Depot der Endhaltestelle zu erwachen und drei Stunden zu Fuß nach Hause durch die dunkle Stadt zu laufen. Sie habe sich absichtlich häßlich gemacht, nie geschminkt, in billigen Kleidern, die Haare ungewaschen, um nicht von Männern belästigt zu werden, die natürlich trotzdem überall lauerten und ihr nachstellten. Einmal hatte Stipo mit der Wasserwaage einen solchen Kerl windelweich geschlagen, aber drei Tage später sei der schon wieder in der Nähe herumgelungert und erst abgehauen, als Stipo mit der Wasserwaage aus dem Fenster winkte. Nie hätten sie Fleisch gegessen damals, immer nur Gemüse – ich habe versprochen, daß ich Ivanas Akzent nicht nachmachen würde, aber hier muß ich es einmal tun, weil ihr »Gemiese« das Saftlos-Schlaffe, das Miese dieser Ernährung so ausdrucksvoll bezeichnete. Und in dieser ganzen elenden Zeit habe niemand es jemals gewagt, sie des Diebstahls zu verdächtigen, die sie selbst eher verhungern würde, als sich an fremdem Gut satt zu essen. Sie war nicht in der Verfassung, sich auf Argumente, Fragen, Beruhigungen einzulassen. In einem Kraftakt ohnegleichen prasselten die Bilder eines himmelschreienden Unrechts, das ihr angetan worden sei, auf mich herab, Deklarationen ihrer moralischen Prinzipien, Verfluchungen ihrer Feinde.
    Wie will man einem Vulkanausbruch wehren? Das flammende Brodeln mußte sich ausrasen. Und wie es bei einem Feuerwerkskörper, der eben noch Funkenregen gespritzt hat, sich sogar noch verstärkend, je länger das andauerte, unversehens zu einem kleinen trockenen Knall kommt, mit dem das wilde Gespratzel augenblicklich endet, zog sie die in der feuchten Erregung ins Laufen gekommene Nase mit scharfem Schniefen einmal hoch und hielt jäh und wie verwirrt inne. Und dann erschien auf ihren Lippen ein kindlich anmutiges Lächeln, ein verschmitzter Ausdruck, der vergnügt zu fragen schien: »Habe ich dich ordentlich erschreckt? Du machst ein Gesicht, als ob eine knurrende Bulldogge vor dir hockte?«
    Die Wutlähmung, die den ganzen Körper ergriffen hatte und keine weitere Aktion zuließ, war überwunden. Sie ergriff jetzt wieder den Staublappen und fuhr zu reden fort, indem sie mit der ihr eigentümlichen Heftigkeit Staub wischte. Sie ergriff ein Buch und klopfte es ab, als sei es ein ungehorsames, in den Schlamm gefallenes Kind. Im Nachklang der großen Erregung, so wie die Erdbebenkatastrophen Nachbeben kennen, die zwar immer noch Mietshäuser zum Einsturz bringen, verglichen mit dem eigentlichen Ausbruch aber nur noch an das reflexhafte Hautzucken eines schlafenden Hundes herankommen, bekamen Frau Beate Colisée und Winnie noch ein paar Tritte ab, und ich muß, gerade im Blick auf das Bevorstehende, zu meiner Scham bekennen, daß ich Winnie

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