Das Blutbuchenfest
verwehrt geblieben waren, sollte sie zur eigentlichen Erbin einer Kasia werden. Es gab Pianisten, die einen kostbaren Flügel besaßen, aber niemand spielte auf einem so auserlesenen Instrument wie Kasia auf Maruschas seelischem Saitenspiel, um es mit einem Dichterwort zu sagen, das dem Stolz Kasias angemessen ist. Um so hellhöriger wurde sie, wenn sie ihre geistige Tochter in Ratlosigkeit und Verwirrung vorfand. Es war schön und gut mit dem Telephon, und eine Sängerin konnte viel in ihre Stimme legen, aber manchmal war es auch angebracht, sein Gegenüber anzufassen, es an sich zu ziehen, ihm die Arme zu streicheln oder auch es an den Schultern zu packen und es zu schütteln.
Und heute wäre, so fühlte Kasia, in der Ohnmacht ihrer tausend Kilometer weiten Entferntheit, gerade das Schütteln, ein sanftes, aber entschiedenes Schütteln notwendig gewesen, um die Informationen, die nicht über Maruschas Lippen wollten und sie doch so offensichtlich bedrängten, zu lockern und herauskullern zu lassen.
Alles sei unversehens so schwierig geworden, sagte Maruscha mit halber Stimme, als müsse sie befürchten, daß ihr mehr, als sie sagen wollte, herausrutschte, wenn sie lauter spräche. Nein, mit Wereschnikow stehe es nicht gut zur Zeit, er sei unglücklich.
Wieso unglücklich? Er habe doch Maruscha, da sei ein Mann doch nicht unglücklich.
Vieles laufe nicht gut bei Wereschnikow. Er sei überarbeitet, er telephoniere viel, seine Geschäfte seien zäh, die Leute wollten nicht wie er, die große internationale Konferenz, die mache doch viel Arbeit …
Ja, solle sie denn keine Arbeit machen? Ein Mann müsse schließlich irgendwie beschäftigt sein, sonst werde er zur Landplage. Und wenn es keine Arbeit sei, bei der er sich erschöpfe, dann seien es Rennwagen oder Pferde – ach, wie gut tat es Kasia, aus ihrem Camping-Sessel heraus, inmitten der alten Frauen, die ihre Suppe löffelten, an ihre Mädchenjahre vor dem Krieg anzuknüpfen, als das Leben ein Fest gewesen war.
Aber Maruscha folgte diesem Einwurf nicht. Nein, die Trauer bei Wereschnikow sitze tiefer. Sie habe, so fürchte sie, ihren Einfluß verloren. Sie erreiche ihn nicht mehr. Früher genügte es, ihn bei der Hand zu nehmen, die bloße Berührung mit ihrer kühlen frischen Hand beeindruckte ihn auf erstaunliche Weise. Und wenn sie ihm dann beruhigende, verständige Worte ins Ohr flüsterte, dann fühlte sie geradezu, wie ihm die Schauer über den Rücken liefen, Wonneschauer wohlgemerkt, aber jetzt sei alles erstorben, er schaue sie an wie ein totes Kalb, die weitgeöffneten Augen blind und starr.
Das sei eine Depression, bemerkte Kasia mit ferndiagnostischer Sicherheit, und die einzige Hilfe, die man einem Depressiven leisten könne, sei, ihm mit Verständnislosigkeit zu begegnen. Wie hatte Maruscha sich früher an solch frostiger Frische erquickt, eine herausfordernde Herzlosigkeit, zu der sie sich ganz außerstande sah, die ihr aber für ein ganzes Bündel bewundernswerter Eigenschaften stand: Lebenskunst, Eleganz, Kraft, Unbesiegbarkeit in miserablen Umständen und die Fähigkeit, immer noch ein bißchen grausamer zu sein als das grausame Schicksal. Richtig gut Französisch sprach Kasia nicht, Maruscha übertraf sie darin inzwischen, an der Seite Wereschnikows gab es Trainingsmöglichkeiten, aber es gehörte zur Konversationstechnik der alten Sängerin, Französisches hin und wieder einfließen zu lassen, das gab ihren Worten den Schimmer der dicken Perlen auf Maruschas Foto. Zu ihren bevorzugten Redewendungen, die zugleich die Kurzfassung einer ganzen Weltanschauung enthielt, zählte ein schneidendes, schon geradezu verächtlich gezischtes »C’est normal« auf alle Klagen, die Maruscha in ihrer Weichherzigkeit anstimmen mochte. Krankheit und Tod, Liebeskummer und Geldnot, die schlimmen Volten der Politik und die kleinen Verdrießlichkeiten mit der Polizei – dies alles war »normal«: Keines Kommentars wert, und schon gar keiner Tränen – triumphierende Freude oder zärtliche Besinnlichkeit war freilich auch nie am Platz.
Maruscha hatte sich deshalb inzwischen angewöhnt, ihrer Freundin die Momente ungemischten Genießens und Entzückens, die es in ihrem Leben gab, zu verheimlichen. Zuviel Normalität sollte auch wieder nicht walten. Und es war tatsächlich das mehr als Normale, das hinreißend Schöne, die seelischen Wünsche zutiefst Befriedigende – und sei es auch nur ein neuer sandfarbener Kaschmir-Pullover –, was jeden Tag mit
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