Das Blutbuchenfest
verwachsen war –, und dann ging dieselbe Mutter mit den dicken Rollen gesponnener Fäden an den hölzernen Webstuhl und webte klippklapp-klippklapp – Ivana hatte dies harte Klappen noch im Ohr – das Leinen für Ivanas Kirchenkleid. Ivana selbst hatte übrigens niemals am Spinnrad oder am Webstuhl gesessen.
»Wir Mädchen haben immer mit dem Vater gearbeitet, nicht diese Frauensachen, die richtige Männerarbeit.«
Das Kleid, das nun genäht wurde, war schwer – Ivana staunte heute noch darüber –, und der rote Faden der Stickerei darauf war das einzige, was hatte gekauft werden müssen, der immer bedenkliche Augenblick, Geld aus dem Haus zu geben, war hier nur für ein paar Garnröllchen unvermeidbar gewesen. Ein unzerstörbares Kleid, dazu bestimmt, ein ganzes Leben zu halten und dann an eine Tochter weitergegeben zu werden. Es war aus einer solchen Masse dicken Stoffs gemacht, daß es schon beinahe von selbst stand, und es war – schön, hier zögerte Ivana etwas. War es wirklich schön? Es gehörte noch ein ärmelloser schwarzer Filzkaftan dazu, der beim Gehen wie ein Reibeisen im Nacken kratzte, und eine Holzkrone, sie sah so ähnlich wie ein Brotkorb aus, um die herum die Haube gesteckt wurde. Auch die Stecknadeln mit den bunten Glasköpfchen waren gekauft, die konnte man gleichfalls nicht selbermachen.
Solch ein Prachtgewand besaß Ivana, heute wahrscheinlich unbezahlbar. Ich sah das grobe, nicht blendendweiß zu bleichende Leinen vor mir, seinen schweren Fall, den weiten faltenreichen Rock. Ein einziges Mal habe sie dies Kleid getragen, rief sie mit Stolz, in den sich Übermut mischte. Mit diesem Gewand und dem kratzenden Kaftan ging es ein einziges Mal in die Kirche – und nie wieder. Nichts habe sie dazu gebracht, diese Leinenrüstung, in der die Arbeit mindestens zweier Jahre steckte, noch einmal anzuziehen – unmöglich. Sie schüttelte sich. Mehr als ihre Worte drückte ihr Körper aus, daß er nichts Hemmendes, Steifes, Gewichtiges auf sich duldete. Noch jetzt war sie wie ein junges Pferd, das den ersten Reiter abgeworfen hat und auch den zweiten nicht auf sich sitzen lassen wird. So oft sprach sie von den Verhältnissen ihres Aufwachsens, ihrer Familie; die Art des Zusammenlebens in ihrem Dorf, die Tradition ließ sie nicht los, aber sie war keine Traditionalistin, sie war sogar eine kämpferische Antitraditionalistin, wenn es darum ging, daß sie sich irgend etwas Vorgegebenem beugen sollte.
»Siehst du, du bist gar nicht so viel anders als Winnie«, das fiel mir plötzlich ein, und sie war von diesem Gedanken derart überrascht, daß sie stutzte und die Augenbrauen zusammenzog, bevor sie lachte und einräumte, ich hätte etwas Richtiges gesehen.
Zweiundzwanzigstes Kapitel
Liebe, Liebe, laß mich los
Wenn Maruscha mit ihrer Freundin Kasia telephonierte, stellte sie deren Photographie vor sich auf und versuchte, in Betrachtung derart versunken, daß sie gelegentlich nicht mitbekam, was Kasia sagte, den Klang der Stimme und das Bild zu etwas gemeinsam Lebendigem werden zu lassen, das zärtliche »Maruscha, kleiner Liebling«, das etwas vom Schnurren einer Katze an sich hatte, mit der ehrfurchtgebietenden Eleganz des Bildes in Übereinstimmung zu bringen. Es war kein neues Bild. Es war sogar ein ziemlich altes, von einem Theaterphotographen aufgenommen, der noch ganz dem Vorkriegsstil verhaftet war und sein Modell im Sternenschein silbrig flimmernder Lichter erstrahlen ließ. Diesem Schwarzweißbild war unmöglich zu entnehmen, ob Kasia vor vierzig Jahren wirklich blond gewesen war, so blitzte es blendend in ihren sorgfältig gelegten Locken. Auf den Lippen tanzten Sternenpünktchen. Die Augen hatten einen verführerischen Glanz. Die schweren Perlen, es waren wohl schon damals keine echten mehr, lagen in samtigem Hellgrau um den weißen Hals, der ein Recht darauf hatte, so betont zu werden, denn aus ihm drang der Gesang, der Anlaß für dies Foto in einem Programmheft gewesen war – das war keine große Stimme gewesen, aber eine sprudelnd frische, kristallklare Koloratur-Soubretten-Stimme, die immerhin aus Operettenrepertoires zu Mozarts Blondchen und Offenbachs Belle Hélène vorgedrungen war, bis ein böses, falsch behandeltes Knötchen auf dem Stimmband dem Singen ein Ende machte, viel zu früh, und danach war gar nichts mehr gelungen. Aber Maruscha hatte recht, wenn sie ihre Vorstellung der Abwesenden mit diesem alten Bild verband, denn Kasia war ungebeugt. Sie beklagte
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