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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Verheißung erfüllte, die sie sich nicht wegreden lassen wollte.
    Bei Wereschnikows Veränderung neuerdings kam aber noch etwas hinzu, das sie Kasia bisher verschwiegen hatte: daß es sich gar nicht um eine Depression, einen krankhaften, gleichsam ursachelosen Zustand handelte, sondern daß sie allzugut hätte sagen können, woher diese Trauer kam, sie eben leider nur nicht in ihrer Abgrundtiefe vorhergesehen hatte, unbegreiflich genug. Oder nicht unbegreiflich – sondern weil sie Kasias Rat gefolgt war, die sie von fern, auf dem ihr von Maruscha geschenkten verstellbaren Camping-Thron, aus dem Gegenlicht mit seiner zauberisch verjüngenden Wirkung heraus, im Umgang mit jenen Männern anleitete, die dieser Frau nur durch Maruschas Berichte und also höchst unvollständig bekannt waren. Weswegen auch die harten Urteile, diese geringschätzigen Charakterisierungen gar nicht am Platz waren. Verständnislos solle sie gegenüber Wereschnikow sein, nach allem, was sie ihm angetan hatte?
    »Nicht schön«, dachte Maruscha, noch weit davon entfernt, es auch auszusprechen, aber ein solches »nicht schön« war bei ihr eine schon sehr weitgehende Form der Mißbilligung, gerade bei Kasia hatte es ein solches »nicht schön« bisher nicht gegeben, darin lag wirklich kritischer Abstand. Am liebsten hätte sie Kasia gar nicht erzählt, was auf deren Intervention hin, die von solch schlagender Unverschämtheit gewesen war, daß Maruscha einfach Beifall klatschen mußte, vorgefallen war. Der Wahnsinn, der sich ergibt, wenn man Literatur und Leben verwechselt – so hätte Maruscha das nicht ausgesprochen, aber das war es, was sie meinte. Kasia war für sie ein lebender Roman, unendlich unterhaltsam, zu immer weiterer Lektüre verführend, und vor allem deshalb so fesselnd, weil er eine andere Welt präsentierte als die, in der Maruscha sich durchschlug. Dieser leichthin gesprochene Satz: »Wenn du mit zwei Liebhabern nicht zurechtkommst, mußt du einen dritten nehmen«, dieser Satz, der Maruscha mit Flügeln über ihren Alltag schweben ließ und der die vielen peinlichen kleinen Lügereien vergessen machte, die zu festen Bestandteilen ebendieses Alltags geworden waren, den hatte sie, anstatt ihn als Aperçu zu genießen und wieder zu vergessen, als Handlungsanweisung aufgefaßt und damit eine Katastrophe ausgelöst.
    »Du hast dir einen dritten Liebhaber genommen.« Kasias Frage war Neugier und Belustigung anzuhören. Nach beidem war Maruscha nicht zumute – hier galt es wahrlich nicht, schlüpfrige Erlebnisse auszubreiten, sondern zum ersten Mal der Beschämung und Verwirrung Ausdruck zu verleihen, vor allem aber der Reue und der Ratlosigkeit. Die einzige Funktion des dritten Mannes wäre ja gewesen, von ein wenig Spaß abgesehen, Wereschnikow in die Schranken zu weisen, ihn aus der Gewohnheit, sie Tag und Nacht zu beanspruchen, behutsam herauszudrängen, bescheidener zu machen in dem Bewußtsein, nicht der einzige Mann auf Erden zu sein. Sie hatte vermutet, daß er beleidigt, aber im tiefsten nicht verletzt sein werde. Er hatte viel zu häufig in ihrer Gegenwart geschworen, nie wieder zu heiraten, als daß er ernsthaften Anspruch auf eine exklusive Geliebte hätte erheben dürfen. Statt dessen war eine Welt eingestürzt, als Maruscha ihm eröffnete, nun nicht mehr jeden Tag für ihn Zeit zu haben.
    Niemals hatte Wereschnikows stattliche Erscheinung aufgehört, sie zu beeindrucken: Ein schöner Mann, das war aus ihrem Mund, die gern und freigiebig die Vorzüge der Männer feierte, ein Kompliment ohne diminuierende Note, ganz aus der unverstellten Bewunderung heraus gesprochen. Aber dies herrliche Wereschnikow-Haupt, in dem jeder Zug groß gedacht und verwirklicht war, weinen zu sehen, nicht nur mit schwimmenden Augen, nein schluchzend, gerötet, verschwollen, fremd werdend im zerreißenden Schmerz – nein, das war niemals ein Schauspiel, das eine Frau wie Maruscha beabsichtigt haben konnte. Es hätte ihr schier das Herz gebrochen, nun ja, wenn nicht das Schlimmste inzwischen eingetreten wäre: daß ihr Herz bereits gebrochen war.
    Maruschas Temperament entsprach es, in allem immer das Nächstliegende zu ergreifen, nicht gar zu wählerisch zu sein. Wer ernsthaft wählen wollte, der mußte Kennerschaft besitzen. Die meisten Angelegenheiten offenbarten ihre Eigenschaften aber erst nach und nach; es war auch stets etwas anderes, von einem Umstand bloß Bescheid zu wissen, als selbst mit Haut und Haar in ihn verwickelt zu sein.

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