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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Parabolantenne beeindruckte mich der hohe, makellos weiße Eisschrank mit Tiefkühltruhe, der inmitten der bäuerlichen Küche stand, das Beste, was es auf dem Markt gab. Ivana hatte den Überblick. Sie hatte die sehr guten, sehr teuren Eisschränke im Hause Breegen und bei Inge Markies gründlich verglichen und sich für den teureren entschieden, der bei seiner Einfuhr nach Bosnien noch einmal unsinnig hoch verzollt werden mußte. Öffnete man ihn, quoll reinlicher Wasserdampf aus dem leeren Gemüsefach. Was hier hineinkam, wurde, von Tautropfen beperlt, in einem lang andauernden frischeähnlichen Zustand gehalten, im Haus Mestrovic ein unnötiges Extra, weil man hier ohnehin nur Gemüse aß, das nie einen Eisschrank von innen gesehen hatte; kaum war es im Garten dicht über den braunen Erdkrumen abgeschnitten, gelangte es auch schon in den Kochtopf, und im Winter griff man immer noch nur zum Eingemachten, das Gemüse aus dem Supermarkt der nahen Kleinstadt besaß keine Verführungskraft, für Gemüse wurde hier immer noch kein Geld ausgegeben.
    Um so geheimnisvoller der Eisschrank in seiner metallischen Perfektion, ein magischer Tresor, hinter dessen beinahe mannshoher Tür ein anderes Reich begann, der Nordpol mit seinen Schneewüsten und dem die Nasen und Ohren abschneidenden beißenden Dauersturm. Ältere Modelle hatten, man erinnert sich, gelegentlich ein anheimelndes Brummen, das schluckaufartig einsetzte. Solchen Hilfestellungen für die Phantasie verweigerte sich Ivanas neuer Eisschrank in seinem stählernen Schweigen. Daß er überhaupt eingeschaltet war, verriet nur ein stecknadelkopfgroßes Licht in optimistischem Grün über der Tür, bei Tageslicht beinahe unsichtbar, nur in der nächtlichen Küche leuchtete das Pünktchen geisterhaft und überraschend kräftig, wenn es nicht wegen der in den letzten Monaten immer häufiger vorkommenden Stromausfälle erlosch.
    In den Tiefkühlschrank wurde also besser gar nichts gelegt, aber der bedrohlich schweigenden Majestät dieses Schranks, dem Zauber dieser großen undurchdringlichen Tür tat das keinen Abbruch. Keine Spur einer menschlichen Hand verriet der Kühlschrank, und das in einem Haushalt, in dem immer noch eine Reihe von aus Brettern zusammengehauenen Möbeln, von auf der Töpferscheibe gedrehten Krügen, von handgeschnitzten Kochlöffeln und selbstgeschreinerten Türen zu finden war. Wie eine Bombe, die nicht explodiert, war der Kühlschrank in dies Bauernhaus eingeschlagen.
    Wäre ich früher im Hof der Mestrovic zu Gast gewesen, hätte man mich ohne Zweifel mit jener ruinösen Großzügigkeit empfangen, die den traditionellen Verhältnissen entsprach. Jetzt aber stand die Hochzeit des jüngsten Sohnes bevor. Es wurden Scharen von Gästen erwartet, gewiß nicht die Muslime von nebenan, aber die weitverbreitete Verwandtschaft. Bei diesem Fest würde es außer mir keinen Gast geben, der nicht blutsverwandt war, denn die Braut entstammte gleichfalls dem weiteren Familienkreis.
    Mir blieb also höchst willkommene Zeit, mich auf dem Gehöft und in der Landschaft, die es umgab, allein umzusehen. Es war leeres Land. Wenn man nicht nach der Seite des Dorfes hinsah, entdeckte man weithin kein Haus mehr. Die Augen konnten die Geländefalten, die sich bläulich hintereinanderstaffelten, abschreiten. Es verbarg sich hinter der letzten immer noch eine weitere. Die Bläulichkeit der Ferne täuschte darüber hinweg, wie trocken, ja ausgetrocknet es dort war, karstig, sandig, unfruchtbar. Was von ferne wie eine die Felsen überschäumende Waldung wirkte, war nur Krüppelwald. Das kroch dort alles nur in Bodennähe dahin.
    Wer sich still verhielt, zu dem kamen die schönsten Bilder. Zu meinen Füßen leckte eine junge Katze Milch aus einem Porzellanteller. Zunächst nahm die Menge der Milch nicht sichtbar ab, so unbeirrt das rosa Zünglein auch schleckte, dann wurde der Milchschleier im Teller durchscheinend, ein Muster auf dem Tellerboden wurde ahnbar, bläuliche Ranken, die das Kätzchen mit zielgerichtetem Eifer freilegte, wie ein Archäologe ein Fußbodenmosaik von Erde befreit. Schließlich war es am Tageslicht, eine industrielle Version des Meißner Zwiebelmusters, aber wie aus dem Boden geholt und deshalb überraschend und kostbar; die feine Zunge polierte es da und dort noch ein wenig, damit es wie neu in den Tag strahlte. Etwas weiter zwitscherte es in den Zypressen, die den Garten zum Hang hin abgrenzten, wie abgestorbene, ganz zu Säulen gewordene Bäume,

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