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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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auch der geometrischen Blumenparketts von Versailles in sich trug, das Werk täglicher liebevoller Zuwendung – er jedenfalls würde ihn nicht pflegen, dies Wunderwerk gehegter Fruchtbarkeit und aus der Ordnung unbeabsichtigt hervorgegangener Schönheit. Dieser Garten war bis zu ihm hin entwickelt und aufrechterhalten worden, aber hier fuhr die prächtig ausgereifte Hochform vor eine historische Mauer, auf der ganz oben, in bergziegenhafter Anmut, Mirko stand und nicht einmal einen Lidschlag lang zurückblickte. Er hatte auf der Schule wenig Deutsch gelernt, wohl auch das meiste vergessen, obwohl er, wie er mir sagte, schon öfter bei Ivana und Stipo in Frankfurt zu Gast gewesen sei. Er liebe diese Stadt. Er sprach mit verträumtem Blick von der Zeil und ihren unerschöpflichen Kaufhäusern, bezaubert durch die Warenfülle und ohne wahrnehmbare Besitzgier. Es war die schlichte und reine Freude, daß Gottes Erde etwas so Herrliches trug wie diese Kette von Kaufhäusern, in denen Wünsche, die man noch gar nicht verspürt hatte, ohne weiteres befriedigt werden konnten. Und die schönen Frauen von Frankfurt! Er hatte sie gesehen, sofort, schon beim ersten Aussteigen aus dem Überlandbus am Hauptbahnhof, in dem er, der Quirlige, in sechsunddreißigstündig eingeschränkter Beweglichkeit zusammengefaltet gehockt hatte – selbst die Erinnerung an diese Pein wurde zu einem großen Vergnügen.
    Er selbst machte sie schön, die Frauen, das hatte ich deutlich beobachten können. Ivanas Gesicht entspannte sich, wenn sie auf ihn blickte. Es war, als wölbe sich ihr Mund etwas vor; der Eindruck der Schmallippigkeit verlor sich, die ihr sonst das Finstere, Willensbetonte gab, ihre Augen glänzten, durch Spott als letzter Schutz vor schrankenloser Hingabe in ihrem Ausdruck nur gesteigert.
    Alles, was aus einer mühevollen, wie verfluchten Vergangenheit auf der Familie Mestrovic gelastet hatte, ihr Gefesseltsein an den Boden, ihr Kampf mit dem Boden, das Mißtrauen, die Erschöpfung, die Härte, hatte sich, so sah es für mich aus, in Mirko aufgelöst. Am Schluß der Familiengeschichte stand nicht Untergang oder Erlöschen, sondern Heiterkeit und Freude, wenn auch verkörpert in einer einzigen Person. Sogar die Feindseligkeit gegen die Nachbarn war nicht auf ihn übergegangen, so tief sie sich auch allen anderen Familienmitgliedern als gehütetes Erbe eingeprägt hatte. Auf der Motorradfahrt in die kleine Stadt erklärte er mir die Häuser und Höfe, die auf den Hügeln lagen. Viele Neubauten waren darunter, lumpig aussehend in meinen schönheitsdurstigen Augen, aber Zeugnisse eines wachsenden, noch schüchternen Wohlstandes, der mit dem Geld aus dem Ausland hereingeflossen war. Es gingen nicht nur Ivana und Stipo in den Westen und brachten von dort die Botschaft gekachelter Badezimmer und eingebauter Küchen nach Hause.
    Gesprenkelter als in dieser Region Bosniens konnte die Bevölkerung des ganzen Landes kaum sein, wenn man von den Städten absah. Hier wohnten Kroaten, dort Serben, hier Muslime, und dort »Rumunsch«, das war ein zerfallenes Haus, schon auffällig unter den vielen neuen oder doch hergerichteten, und die »Rumunsch« waren Zigeuner, von keinem geliebt, nur von Mirko. Er hatte überall Freunde, amüsierte sich geradezu darüber; sein Körper, an dem ich mich festhielt, bebte vor Lachen bei dem Gedanken, daß da wirklich überall Freunde wohnten.
    In der Kleinstadt war Markt, ein Gedränge zwischen Gemüseständen und chinesischem Textilplunder. Wie gründlich war die Zeit der selbstgewebten, selbstgesponnenen, selbst zugeschnittenen Leinwand vergangen. Aber dieser Verlust hatte die Menschheit wahrlich nicht unschöpferisch werden lassen. Die Vielfalt der Muster von Kittelschürzen, Tischdecken, Schals, Pullovern und Kleiderstoffen war überwältigend – alle scheußlich, aber jedes Muster einzigartig, unwiederholt, von Zeichnern und Druckern in nicht versiegender Fruchtbarkeit ersonnen. Keine Farbe, die nicht gekreischt hätte, aber in Variationen, die den Artenreichtum der Insekten nachahmten, als solle die ganze Welt mit Mustern überzogen werden. Ein fröhliches Gedränge war es nicht, das sich zwischen den Ständen einherschob, etwas Bedrücktes ging von den Leuten aus, die zwischen der chemischen Farbenpracht dunkel gekleidet, Männer und Frauen, vornehmlich in schwarzen Lederjacken auftraten. Die Blicke, die der Stoff-Fülle galten, dem »Kattunspiel«, wie man in meinem heimatlichen Frankfurt einst

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