Das Blutbuchenfest
obwohl wahrscheinlich erst fünfzig Jahre alt. Um so verblüffender das Leben, das in ihnen herrschte, ein Schwarm hüpfender Stare, die sich in ihrem Dunkel wie unterirdisch bewegten, aber mit ihrem Flattern den Staub aufwirbelten; Wölkchen wie von den Schüssen winziger Kanonen umgaben die schwarzgrünen Baumkörper, als sei dort ein Frösche- und Mäusekrieg im Gange.
Und von diesem Miniaturepos ging der Blick dann wieder in die menschenleere Weite.
Unvorstellbar, daß diese Region von Feindseligkeiten ihrer Bewohner erfüllt sein könnte. Es gab ja kaum welche. In diesen Riesenräumen, in diesen von Bergrücken abgeteilten Tälern war doch Platz für jeden, wo war hier Raum für Eifersucht und Neid? Auf einem fernen, bereits abgeernteten gelbstrohigen Stoppelfeld ging ein einzelner Mann, der auf dem Rücken etwas Großes, ein Bündel, einen Sack trug – woher kam er, wohin ging er? Er war nicht größer als eine Ameise, aber er zog meine ganze Aufmerksamkeit auf sich. Er war für mich das geheime Herz der Landschaft, von ihm aus wurde sie lebendig. Es war schwer, sich von seinem Anblick zu lösen. Unversehens war er verschwunden. Hatte er sein Bündel niedergesetzt und sich ins Gras gelegt?
Weit weg vom Meer, durch hohe Gebirgszüge, die zum Teil noch Schnee trugen, von der Küste getrennt, hatte das Gehöft der Mestrovics doch etwas von einem Haus am Wasser. Es lag am Hang. Saß man im Hof und blickte durch das Tor, dessen Flügel zwischen den Mauern weit geöffnet standen, wurde der Raum zwischen den Torpfosten zur Bühne, deren Himmel bis zum Boden reichte, so tief fiel das Niveau dahinter ab. Diese Bühne verlieh allem, was auf ihr geschah, dramatische Qualität.
Ohne daß ich bemerkt hätte, wie sie dorthin gelangt war, saß Ivanas Mutter jetzt auf ihrem Stuhl am Rand des Tores. Eine Frau mit Kinderwagen schob sich langsam den Hang hinauf, denn unmittelbar vor dem Tor lag das Landsträßchen, bucklig und voller Schlaglöcher, das nach Sarajevo führte. Sie verweilte einen Augenblick im Gespräch und ging dann ab, um es theatermäßig zu sagen. Dafür gesellte sich Anna zur Mutter mit einer Schüssel Bohnen, die die beiden Frauen, ganz von Himmelsblau umgeben, selbst beinahe bis zur Schwärze verdunkelt, zu putzen begannen. Ein Militärlastwagen rollte in den Bühnenraum. Ein schnurrbärtiger Uniformierter stieg aus, von der Ladefläche sprangen Soldaten, die sich aber, wie ein kleiner Opernchor, im Hintergrund hielten, während der Schnurrbärtige mit den Frauen verhandelte. Anna erhob sich, ging zum Haus und kam mit einem Bierkasten zurück, den sie, als sei er leer, lässig mit einer Hand trug. Bezahlte der Schnurrbärtige für das Bier, oder war das ein Tribut, wie die, von denen ich gehört hatte? Die Soldaten sprangen wieder auf, der Lastwagen fuhr ab – ob nur hinter die Kulisse oder doch nach Sarajevo, beides erschien möglich. Durch die Fähigkeit des Theaters, krabbelndes Leben ins Licht zu heben und bedeutungsvoll zu machen, wurde die Art, wie Anna mit dem Bierkasten auf den Soldaten zugegangen war, zu einem Schreiten. Die Bewegung, mit der sie ihm den Kasten hinhielt, erstaunlich anstrengungslos, ohne daß ihr Arm zitterte, bekam geradezu etwas Symbolisches. Trug der Soldat einen muslimischen oder einen serbischen, einen makedonischen oder doch einen kroatischen Schnurrbart?
Das Schönste aber kam, als die Sonne sank, in unvergeßlichem Farbzauber, Aprikosenleuchten am Himmel verbreitend, reine Farbe, die nicht mehr die Kraft besaß, Licht auf die Gegenstände der Erde zu werfen, hier lag schon alles im Dunkeln. Und aus dieser Nacht schob sich ein Lastwagen in die Toreinfahrt, ein großer Truck, zu groß für die kleine Straße, daher die Schlaglöcher, die Lastwagen zermahlten sie förmlich mit ihrem Gewicht. Aber dieser Lastwagen auf dem Weg nach Sarajevo – vor Morgengrauen würde er nicht dort ankommen – war ein Lichtwunder: Nicht nur die Strahlkegel der Scheinwerfer, die das Körperliche wie von tastenden Fühlern hatten, sondern auch die roten und grünen Lämpchen um die Fahrerkabine herum gaben ihm die Geschmücktheit eines Prunk- und Tempelwagens. Die Kürze der Erscheinung verminderte nicht ihre Schönheit, die aus der Bewegung entstand. Zwischen den Torpfosten des Mestrovic-Gehöfts wurde das verlassene Land von der Andeutung ferner Feste gestreift.
Aus diesem Land war Ivan Mestrovic so viel früher als Ivana aufgebrochen. Und mit viel größerem Erfolg, ein Mann, der es
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