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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Geistesverfassung, die ihr am meisten entsprach und auch zusagte: Das scharfe Analysieren der Situation, das Scheiden des Notwendigen vom weniger Notwendigen, ein unablässiges planendes Bedenken, ein geistiges Herrwerden über die Fakten, dann das Einteilen derselben in erstens, zweitens, drittens, und danach handeln.
    Nicht bei allem, was sie tat, konnte sie Branko im Arm halten. Sie mußte ihn hin und wieder ablegen. Der Korb stand bereit unter einem mächtigen Baum mit bizarrem Geäst. Er war wie ein Holz gewordener Dämon, der mit den ausdrucksvollen Gesten seiner Arme einen sichtbaren Schutz über den Korb zu seinen Füßen breitete. Es war aber nicht der Baum allein, der Branko, das noch fest in embryonale Eiform eingeschlossene Kind mit angezogenen, wenngleich inzwischen schon dicker gewordenen Beinchen und den vor dem Gesicht geballten Fäustchen, bewachte. In der Nähe spielten Kinder, darunter die achtjährige Tochter des ältesten Bruders, die sich, wann immer Ivana den Sohn ablegte, aus den Spielen löste und neben den Korb setzte, den Kleinen wohl auch einmal als lebendige Puppe herausnahm und wiegte, bis er durch sein ihm eigentümliches Knarren und Fiepen zeigte, daß er den ihm vertrauten Griff der Mutter und den seiner kindlichen Cousine auseinanderzuhalten wußte. Ivana ließ ihn noch immer mehrmals am Tag trinken, und sie wußte selbst in der Ferne, wann es für Branko wieder soweit war. Die innere Verbindung war so stark, als sei die Nabelschnur zwischen ihnen nicht durchschnitten worden. Wenn sie atemlos in schnellem Lauf unter dem Baum eintraf, sich ihre Bluse aufknöpfte und ihn aus dem Korb hob, begann er gerade erst suchend die zierlichen Lippen zu bewegen. Es wurde ihm das Erlebnis beschert, daß alles, wonach er begehrte, augenblicklich und kaum, daß dies Begehren sich richtig in ihm ausgeformt hatte, auch schon zur Stelle war. Wie würde diese sichere Erfahrung seiner ersten, für jeden Eindruck empfänglichen Lebenszeit auf Branko wirken? »Was ich brauche, das gibt es nicht nur, ich bekomme es auch.« Wie sieht man Gott und die Welt an, wenn das zur unumstößlichen Erfahrung geworden ist? Es berührt mich heute seltsam, daß ich solche Zukunftsgedanken für einen herangewachsenen Branko Mestrovic entwickelte, aber der Eindruck der Symbiose von Mutter und Kind war stark. Keine Seele auf Erden durfte sich bisher rühmen, Ivanas Unabhängigkeit eingeschränkt zu haben. Kein Mann hatte ihr tieferen Respekt abverlangt. Selbst von ihrem Vater, dem sie physisch so glich, hätte sie sich, davon war ich überzeugt, wäre es notwendig gewesen, für immer getrennt, ohne sich umzublicken. Und nun hatte ein Wille, der sich nur in Gestalt eines unbedingten Willens zum Leben äußerte, sie gänzlich in seinen Bann geschlagen.
    Und dabei gab es so viel zu bedenken. In der Küche lief es nicht gut. Es mußte da ein Streit zwischen den Frauen ausgebrochen sein. Die große Festesmaschinerie, dies vielköpfige Feldlager, in Gang zu halten, das war für die Frauen, die bedienten und kochten und herbeischafften und einschenkten, mit einer hohen Anspannung verbunden. Ivana setzte das Kind ab und legte es ins Körbchen. Mit einer einzigen geradezu schroffen Bewegung, die das Kind aber, so stellte ich mir das vor, vor allem als sicherheitsspendend empfand, steckte sie, einen Fuß schon zum Weglaufen hebend, die Decke um das Körperchen fest, rief der Nichte zu, sie möge das Kind im Auge behalten, und war schon nach dem Haus zu unterwegs. Das Mädchen nahm an einem Spiel teil, zu dem es einer ebenen Fläche bedurfte; zwei einander gegenüberstehende Kinder hatten ein Gummiband zwischen sich gespannt, und Ivanas Nichte hüpfte zwischen den beiden Strängen kunstvoll hin und her, sich das Gummi um die Beine schlingend und die Verwicklung wieder auflösend. Um das Kind in der Nähe zu haben, zog das Mädchen den Korb aus dem Schatten des die Äste reckenden Baumriesen, der in seinem Drohen freilich stumm und ohnmächtig war.
    Ich stand entfernt. Der Anblick der Wagen und der Pferde war für mich der höchste Genuß dieser Hochzeit. Wo in Europa würde ich noch einmal ein solches Bild erleben? Ein aus groben Balken zusammengehauener Leiterwagen stand oberhalb der springenden Mädchen, auf ihm war die Musikkapelle angefahren. Die Rumunsch waren für diesmal willkommen, sie hatten mit ihren blitzenden Instrumenten darauf gesessen. Der schwere Bauernwagen mit dem plumpen, struppigen Pferd, der statt Steinen oder Heu

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