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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Körper mit schönen Narben versunken. Sie hatte solche Abwesenheiten, aber die waren Winnie sogar angenehm. Sie ließen ihr Raum für die eigenen Träumereien. Bei Beate Colisée betrat sie einen Bezirk der Zeitlosigkeit. Es herrschte Geschäftigkeit, aber wie in einem altertümlichen Uhrwerk, dessen Zeiger abhanden gekommen sind. Die Räder bewegen sich umeinander, aber sie treiben nichts voran.
    Lange noch war Beate Colisée voller Sarkasmus, vor allem wenn es in die Vergangenheit ging, da kannte sie sich noch gut aus, etwa wenn sie alte Photos durchblätterte: »Dies Kleid war ein großer Erfolg, aber ich habe es gegen meinen Willen gemacht«, sagte sie etwa zu einem über und über mit Pailletten und Glaskügelchen bestickten Gewand, das eine breitschultrige Frau mit helmartig frisiertem Haar trug, »ein idiotisches Kleid ohne Form, ohne Schnitt, ein viele Kilo schwerer Sack – ich sagte damals: Ich will, daß die Frau in diesem Kleid wie aus einem Wasserfall hervortretend erscheint, von Gischt, von glitzernden Wassertropfen, von opalisierendem Schaum umgeben. Wenn du Mode machst, mußt du dir nicht nur etwas einfallen lassen, du mußt sie auch verkaufen. Mein Gott, wie dumm sind die Frauen«, fügte sie seufzend hinzu, die sie ihr Leben ausschließlich mit Frauen verbracht hatte und von ihren Schülerinnen und Kundinnen als arbiter elegantiarum verehrt worden war.
    Sie hatte sich auch damals nicht viel bewegt. Von ihrem Bett war sie nur ungern heruntergekrochen. Dieser üppig gepolsterte Felsen hielt sie fest, indem er jede ihrer Rundungen wiegte und zugleich stützte. Mit der Matratze hatte man sich Mühe gegeben, die war noch unter ihrem wachen Blick gefertigt worden, und von Matratzen verstand sie etwas. Sie hatte einen großen Teil ihres Lebens im Liegen verbracht, im Liegen auch gezeichnet und sogar geschnitten und dreimal mit der Zigarette ein Feuerchen entzündet. Wenn die Asche zu lang geworden war und abfiel, wedelte sie mit beiden Händen den grauen Staub von ihrer Brust, dabei kräftig hustend, bis die Asche sich in Luft auflöste. Einen Aschenbecher nahm sie nur zum Ausdrücken der lippenstiftbefleckten Stummel.
    Das alles war vorbei. Sogar die unmäßige Raucherei, gegen die die Ärztin so hartnäckig angekämpft hatte, und zwar nicht, weil Beate Colisée sich zum Verzicht auf die Zigaretten durchgerungen hätte, sondern weil sie, man wagt es sich kaum vorzustellen, das Rauchen einfach vergaß; diese eiserne Angewohnheit, stets Großpackungen von Zigaretten in greifbarer Nähe zu wissen und sie in einem geduldigen Dienst an der Sucht, ohne sich von anderen Tätigkeiten dabei stören zu lassen – sie nahm die Zigaretten selbst mit ins Bad –, Stück für Stück zu vernichten, die keine ärztliche Drohung und auch die Dauerbronchitis nicht hatte irritieren können, die war aus ihrem Bewußtsein herausgefallen. War mit der Erinnerung an zigtausend aufgeschmauchte Zigaretten auch ihre Vorstellung vom eigenen Leben in Rauch aufgegangen?
    Winnie hatte noch die kleine Zeremonie erlebt, inzwischen unvorstellbar, mit der Beate Colisée, meist am späten Nachmittag, sich für die Badewanne bereitmachte. Das Wasserrauschen drang bis ins Schlafzimmer, während sie sich erhob, und es war wie der Aufbruch einer erfahrenen Haremsdame ins türkische Bad. Sie hatte die Arme gehoben und die Nadeln aus ihrem Knoten gezogen. Die Kopfbewegung, mit der sie das Herabfallen des Haares unterstützte, glich der Vorbereitung einer Liebesnacht. Das Badezimmer lag auf einem etwas höheren Niveau in diesem alten Haus. Das war heute ein beklagenswertes Hindernis, aber damals – vor kurzem noch – konnte sie diese Stufe selbst bezwingen, wenn sie überlegt zu Werke ging und ihre Bewegungen aufteilte. Hatte sie die Tür erreicht, verschnaufte sie kurz und setzte dann den rechten Fuß auf die Stufe. Sie schmiegte sich, es wirkte geradezu zärtlich, an den Türpfosten – Opernregisseure ließen Sängerinnen eine Sehnsuchtsarie gern an Türpfosten geschmiegt singen –, holte nach kontrolliertem Atemholen den linken Fuß nach und konnte sich nun gleichsam durch den Türrahmen fallen lassen. Drinnen warteten die Geheimnisse der Erfrischung und Verjüngung, und wenn sie nach einer Stunde wieder hervorkam, das feuchte Haar verborgen unter einem übergroßen Handtuchturban, wie er in Westafrika getragen wird, dann schwappte aus der Badezimmertür eine Woge parfümierten Dunstes in das inzwischen gelüftete

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