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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Katze regiert, einer Katze wie Zucker und Zimt, und dazu das rosa Schleckzünglein aus dem schneeweißen Schnäuzchen, das hingebungsvoll damit beschäftigt war, sich selbst gleichsam aufzuschlecken, der ganze Katzenkörper eine köstliche süße Speise. Als hätte es keine Protestschreie gegeben – von wem nur? –, sprang das Kätzchen auf Beate Colisées Bett und von dort in das weite Reich ihres Schoßes, genau zwischen die beiden Säulenrundungen ihrer Oberschenkel, als sei gerade dort ihr Nest, und Beates Hände, weich und warm, senkten sich auf den knorpelknochigen Katzenkörper hinab wie ein Federkissen und spielten sanft zwischen den Knöchelchen, die unter dem Seidenfell hin- und herrollten, als hätten sie nie anderes getan.
    Warum kam die Katze jetzt nicht? Unruhe ergriff Beate, von anderer Art, als wenn sie in Gesellschaft war; dann waren es vor allem die Anwesenden, die unruhig wurden. Sie vermochte die unaufhörliche innere Beunruhigung dann auf die andern abzustrahlen und fühlte sich inmitten des Wirbels, den sie verursachte, gelassen und wohlgelaunt, als sei sie es, die ihrer Umgebung die rechte Ausgeglichenheit mitzuteilen habe. Nie hörte sie auf, darüber nachzudenken, was zu tun sei, aber die anderen waren ihre Organe, ihre Hände und Füße, unmittelbar an ihr denkendes Hirn angeschlossen. Ohne die anderen war sie gelähmt. Oder doch nicht?
    Aufstehen, hieß jetzt das Gebot der Stunde. Nichts ersparte ihr das. O weh, aufstehen – das war leichter gesagt als getan. Sie wälzte sich auf die Seite und näherte ihren Körper dem Abgrund, der jenseits der Bettkante gähnte. Das untere Bein in die Tiefe fallen lassen – es fiel, aber es berührte noch nicht den Boden, es hing zwischen Himmel und Erde. Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie hielt inne.
    Es fiel ihr ein, daß jetzt das zweite Bein an der Reihe war. Man mußte etwas wagen, auch auf die Gefahr hin, dann vollends zu schweben und hoffen zu müssen, irgendwann aus dem knochenlosen Luftraum erlöst zu werden, wie ein Ballon, der sein Gas verliert, allmählich hinabzusinken. Ihr Mut wurde belohnt. Der Fall des zweiten Beines in die Tiefe bewirkte eine Streckung des Körpers. Der Fußboden wurde erreicht, die Füße fanden Halt. Und nun war die gesamte Willenskraft darauf gerichtet, sich aufzusetzen und zu vertrauen, daß die Hebelwirkung ihr einen Teil der Kraftanstrengung abnahm.
    Und so war es wirklich. Es war mühevoll, sich aufzusetzen, aber nicht so, wie sie es erwartet hatte. Es kam wirklich eine äußere Kraft hinzu, die einen anhob, und so saß sie denn, zu ihrer Überraschung, auf dem Bettrand und stutzte: War es das, was sie gewollt hatte?
    Ihr Kopf war geneigt. Das offene Haar war noch nicht hochgesteckt, weil so viel anderes zu erledigen gewesen war, es floß kräftig grau-schwarz über ihre Schultern hinab. Es heißt, Menschen, die auf dem Bettrand sitzen, glichen Schuldigen, die ihre Strafe erwarten. Eben noch hatte sie kaiserinnengleich auf ihrem Kissenberg gelegen, jetzt bot sie den jämmerlichen Anblick von Ratlosigkeit und Verwirrung.
    Winnie verfolgte mit größter Beunruhigung, wie schnell der Geist der geliebten Tante verfiel. Ihr Gesicht war immer dasselbe. Es war glatt mit den vollen Wangen und dem enormen Doppelkinn, ihre Augen rund und ausdrucksvoll, ein wenig vortretend und immer noch imstande, in Freude oder Entrüstung wie Glaskugeln zu rollen. Das wirkte überwältigend komisch, auch wenn man besser nicht lachen sollte, aber Beate Colisée wurde immer unwiderstehlich, wenn sie schimpfte. Als Winnie zu ihr zog, war zunächst kein Gedanke daran, daß die Tante mehr als Hilfe, nämlich Überwachung brauchte. Es war eher umgekehrt gewesen. Winnie tat es gut, sich an sie anzulehnen, eine mütterliche Zuwendung ohne die gleichzeitige Kontrolle zu erfahren. Nach ihrer Operation war sie geschwächt. Sie fühlte sich, als sei ein Teil ihrer Lebenskraft aus ihr hinausgelaufen wie aus einem lecken Topf, und deshalb gar nicht ohne weiteres zu ersetzen. Aber in der Gegenwart von Beate Colisée schien das weniger bedrohlich. Sie saß ohne Unterhemd auf dem Bett der Tante, die sich mit ernster Gelassenheit die große Operationsnarbe ansah, wo der Oberkörper aufgeklappt worden war. Jetzt ließ Beate ihren dicken weichen Zeigefinger über jene bläulich-blasse Spur wandern, die sich zwischen den kleinen blühenden Brüsten zog.
    »Ich habe Narben immer reizvoll gefunden«, sagte sie nachdenklich, in ihre Erinnerung an

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