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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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in Schrecken verkehrt hatte, war in seiner Wirklichkeitskraft so überwältigend, daß die Sympathie zwischen Putzfrau und Kunde darüber bedeutungslos würde. Jedes dahergeschwatzte Wort stand jetzt in seiner Nichtigkeit da. Mit welchen Reden, Geständnissen, Gefühlsausbrüchen und Versöhnungen vertrieb man sich die Zeit, während der Anbruch der Finsternis näher und näher gekommen war!
    Ich rechnete nicht damit, Ivana wiederzusehen, zumal mir die Worte meines Fahrers im Ohr klangen. Wenn es sich so verhielt, wie er das, knapp und unaufgeregt, skizzierte, dann blieb die Mestrovic-Familie jetzt am besten zusammen auf dem Hof. Bürgerliche Vorstellungen wie die Sicherheit von Frauen und Kindern waren hier nicht am Platze; abgesehen von Branko, der inzwischen den sichersten aller sicheren Höfe erreicht hatte, würde man eher Mirko aus den gefährlichen Zonen entfernen als Ivana. Wog sie nicht mehrere Männer auf?
    Aber zugleich vermutete ich auch, daß ein Kampf um die Unversehrtheit des Mestrovic-Besitzes für sie an Interesse verloren hatte. Für Branko hätte sich zu kämpfen gelohnt, ohne ihn war sie nicht einfach in ihren vorigen sohnlosen Zustand zurückgefallen; das Gefühl stolzer Vereinzelung war von jetzt an mit diesem Schmerz verbunden.
    Wie auch immer, ich verließ den Hof der Mestrovics, ohne den Versuch zu unternehmen, noch einmal mit ihr zu sprechen. Gibt es nicht starke Naturen, bei denen das Unglück eine beißende Scham auslöst? Genug, die Wahrheit war über uns gekommen in sausender tanzender Fahrt. Wen sie nicht zermalmt hatte, der vermied es, den Genossen der dummen harmlosen Tage davor in die Augen sehen.
    Ich hatte ein Zimmer, das auf einen Zipfel der serbischen Kirche hinausging. Sie war mir durch ihre Schießschartenfenster aufgefallen und ihr In-den-Boden-Gedrücktsein. Ein dünnes müdes Waisenhaus-Glöckchen bimmelte von dort durch die warme Nacht, und weil an Schlaf nicht zu denken war, stieg ich wieder in meine Hosen, tappte durch den dunklen Hotelflur, der Schalter ließ keine Lampen angehen, und fand den Weg ins Freie. Die niedrige Kirchenpforte lag unmittelbar gegenüber, und so tauchte ich denn in das von Flämmchen auf bleistiftdünnen gelben Wachskerzen akzentuierte Dunkel des heiligen Raumes. Rote Lichtpunkte schwebten vor den Ikonen mit ihren goldenen Hintergründen.
    Gleich am Eingang die Bilder der beiden in der Orthodoxie »Militärheilige« genannten Georg und Theodor in ihren Legionärsrüstungen mit langen Lanzen, ihre Heiligenscheine deuteten keine Lichtstrahlen an, sondern waren solide Metallscheiben. Schön waren sie nicht, diese Ikonen, sie stammten aus dem späten neunzehnten Jahrhundert und waren schlechter westlicher Kirchenkunst angeglichen; aber auf das einzelne Bild kam es nicht an in dieser dunklen, funkelnden Höhle, die eigentlich nur mit schäbigem Zeug angefüllt war, im ganzen aber den Eindruck aufgehäufter Schätze hervorbrachte.
    Die Spärlichkeit des Lichts, der süße Weihrauchduft, hinter dem bestickten Vorhang der Königspforte der monotone Gesang einer dünnen Altmännerstimme, anstrengungslos, langsam, voller Geduld, dies alles hüllte mich ein und ließ mich verweilen. Es war gescheiter, hier zu sein, als sich im Bett schlaflos zu wälzen. Jetzt unterschied ich drei Männer an einem seitlichen Pult, die durchaus kraftvoll der Greisenstimme respondierten. Es waren auch drei Frauen mit Kopftüchern anwesend, die sich in gewissen Abständen tief verneigten und mit dem Handrücken der rechten Hand über den Boden streiften. Ich dachte daran, daß Ivana wohl niemals in ihrem Leben diese Kirche betreten hatte und sie auch nie betreten würde. Eine Teilnahme an anderen Daseinsformen war ihr völlig fremd. Der Gedanke, daß auch dies eine christliche Kirche sei, in der ein Kult gefeiert wurde, ebenso ehrwürdig wie der lateinische, wäre ihr höchst dubios vorgekommen. Und wie Ivana empfanden vermutlich die meisten Menschen, die hier lebten – sie Bosnier zu nennen scheute ich mich bereits. Das Beste, was Katholiken, Orthodoxe und Muslime besaßen, die sinnliche Ausprägung ihrer jeweiligen Religion, blieb den anderen Volksgruppen auf eine grundsätzlichere Weise verborgen, als wenn man es in ein undurchdringliches Geheimnis gehüllt hätte.
    Dieser frühmorgendliche Gottesdienst hielt mich fest. Das Stundengebet vor Sonnenaufgang war eine Feier der Nacht als Zeichen für das ganze Menschenleben, das im Dunkel des Nichtwissens und der Erwartung der

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