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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Winnie hatte sich nach dem Gespräch mit ihm zusammengenommen. Seine Stimme hatte sie aufgeweckt aus ihrer Angstverkrampfung. Ihm blieb nur noch, die sich allmählich Entspannende in den Arm zu nehmen. Und das tat er dann auch. Denn ich war ja in Bosnien und hätte schwerlich helfen können, auch wenn ich zu erreichen gewesen wäre.

Siebenundzwanzigstes Kapitel
    Der dünne Film der Wirklichkeit
    Währenddessen war ich erleichtert, daß ich in einem Auto in die Kleinstadt mitfahren konnte. Der Mann am Steuer sprach gut Deutsch. Er hatte schon länger in Deutschland gearbeitet, war aber zurückgekehrt in die Heimat, weil man, wie er sagte, im Haus sein müsse, »wenn es losgeht«. Die jugoslawische Zentralregierung hatte im sich abspaltenden Kroatien eine empfindliche Schlappe erlitten. Es war jetzt klar, daß sich Kroatien nicht mehr würde in der Föderation halten lassen, auch wenn die westlichen Diplomaten noch glaubten, ihr Lieblingsphantom, ein Vereinigtes Jugoslawien, weiterhin retten zu können.
    Aber das bedeutete auch, daß der Krieg jetzt nach Bosnien getragen werde. Eine Vereinigte Republik Bosnien-Herzegowina könne es nur unter serbisch-jugoslawischer Oberhoheit geben – wenn die zerfalle, fliege das Land augenblicklich auseinander. Der Mann war Klempner in Stuttgart gewesen, ein ruhiger, wie mir schien, von nationalem Eifer weitgehend freier Mensch, ein nüchterner Betrachter des Kriegstheaters, diesen Eindruck wollte er in mir hervorrufen. Mit seinen breiten Handgelenken führte er das Steuerrad um die Schlaglöcher herum. Es war dennoch eine rumpelnde Fahrt, aber er blieb die Gelassenheit selbst. Er war nicht ungerührt von Brankos Schicksal, obwohl ihn das Schreckensereignis nicht aus der Ruhe brachte; er hatte zu den Rauchern gehört, die Ivana davon zurückhielten, ihre Nichte zu erwürgen. Das Haus Mestrovic ziehe die Katastrophen an. Was sie allein im letzten Krieg mitgemacht hätten, davon wolle er nicht reden, aber Kindstode, schlimme Krankheiten, heftiger Familienstreit, das alles häufe sich dort und Ivana sei die reinste Mestrovic. Ihrem Vater, noch mehr aber dem von den Serben ermordeten Großvater – sie hatten ihn nicht ohne Grund umgebracht – gleiche sie aufs Haar. Und so hart es klinge, die Mestrovics würden mit den Katastrophen in ihrer Familie eben auch besser fertig als andere Leute; was woanders den Menschen verrückt mache, das bekämen die Mestrovics wieder in den Griff. »Die sind wie eine kleine Armee«, das war ehrfurchtsvoll gesprochen, und deshalb dürfe man auch sicher sein, daß die Mestrovic-Sippe in der nächsten Zeit wieder eine Rolle spielen werde.
    »Sehen Sie, wenn es darum ginge, Bosnien-Herzegowina aufzuteilen – ein Stück zu Serbien, eines zu Kroatien und ein Stück mit Sarajevo für die Muslime –, dann wäre das Land morgen aufgeteilt, es gäbe es gar nicht mehr.« Aber wie wolle man das machen? Es gäbe eben nicht dies kroatische, dies serbische, dies muslimische Stück. Bosnien sei wie ein Rosinenkuchen, in jeder Scheibe gleichmäßig von Rosinen und Zitronat durchsetzt. Wie wolle man diesen Kuchen »auseinanderzutzeln« – er gebrauchte überraschend ein österreichisch klingendes Wort, das aber schön farbig suggerierte, wie der bosnische Kuchen aussehen würde, nachdem seine Bestandteile »auseinandergezutzelt« worden wären – einen Kuchen würde man den Krümelberg, um in dem nahrhaften Bild zu bleiben, nicht mehr nennen dürfen.
    »Und deshalb muß man jetzt hier sein, wenn man ein Haus hat – wer jetzt weggeht, der hat es schon verloren.« Ging aus seinen Worten nicht vor allem hervor, daß derjenige, der blieb, um seinen Besitz würde kämpfen müssen?
    Das kleine ungemütliche Hotel gehörte dem Staat, zum Absteigen von reisenden Ingenieuren und Beamten eingerichtet, jetzt im Zustand einer Verwahrlosung, der vielleicht der immer schwieriger zu beantwortenden Frage nach der Staatlichkeit Bosniens entsprach. Schlafen konnte ich nicht. Beruhigen konnte ich mich gleichfalls nicht. Das Bild des rollenden Wagens und des kleinen Säuglingskorbes verließ mich nicht. Ein auf sein Ziel unaufhaltsam zurasendes Unheil, dies wirklich einmal gesehen zu haben, erschütterte mein Lebensgefühl, auch wenn dies Unheil mich nicht unmittelbar betraf. Ebenso stark fühlte ich, daß das freundschaftlich gewordene Verhältnis zu Ivana einen möglicherweise irreparablen Stoß bekommen hatte. Brankos grausiger Tod, der das Freudenfest der Familie Mestrovic

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