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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Professor in Brasilien gewesen, nach Lehrauftrag an der London School of Economics, habe schon an einem Handbuch mitgearbeitet, habe nicht zuletzt gelebt. Das Schrecklichste sei die Verkümmertheit dieser Generation, gefüttert, gewickelt, umtan, infantil gehalten – so etwas erbe! – der Mann, von dem er sprach, wurde in seiner Wertlosigkeit jetzt zum Neutrum – mein Gott, was hätte Wereschnikow alles erben können, wenn die Weltgeschichte ein wenig anders verlaufen wäre – aber das sei ja gut so gewesen. Er habe sich durchschlagen müssen, schlage sich heute noch durch, schleppe lebensunfähige Existenzen mit, um ihnen eine Chance zu geben – Ergebnis sei freilich nur Undank: Der Kerl habe zwei Eigentumswohnungen von seinen Eltern hinterlassen bekommen, kreuzbraven Beamten mit einem einzigen verwöhnten Sohn, und wage es, auf dieser Basis, ihn, Wereschnikow, unablässig unter Druck zu setzen: »Wo bleibt mein Geld? Wo bleibt mein Vorschuß?« Nicht übel habe er Lust, diesem Früchtchen entgegenzuhalten: »So, du brauchst Geld? Dann sammle Flaschen aus den Dreckeimern, dann kriegst du Geld!«
    Auch auf dem Papier teilt sich noch die Empörung dieser Worte mit, die aber alsbald in Resignation zusammensank; die Klimax des Versagens seines Protegés wurde nur noch mit gedämpfter Stimme mitgeteilt. Er habe dem Herrn die Verbindung zu einer der bedeutendsten Agenturen eröffnet, nur damit der dort die Lehrmädchen verführe. Das gehöre eben auch zu dieser durch die Universität sinnlos prolongierten Infantilität: dies Fixiertbleiben auf kleine Mädchen, armselige Motten …
    Es war jetzt kein Zweifel mehr möglich. Er sprach über mich. Und was mich entwaffnete: Er sagte nichts eigentlich Falsches. Er verleumdete mich nicht geradezu. Es war nur der Ton der Verachtung, der mich schmerzte. Und zugleich hörte ich aus Wereschnikows Tirade gar keinen Hohn, keine Schadenfreude heraus, wie sie am Ecktisch sonst üblich gewesen wäre, sondern eine aufrichtige Verletztheit, die über den Anlaß hinaus zu reichen schien. Was ihm an mir mißfiel, war etwas, an dem er grundsätzlich litt. Ich durfte mir da schon als austauschbar vorkommen. Oder doch nicht ganz?
    »Und dann, wie er sich mit seinem Courbet lächerlich gemacht hat! Ein großer Kunsthistoriker muß natürlich etwas entdecken, eine Zuschreibung machen, einen Fund – anstatt sich mit Mestrovic zu beschäftigen, von dem er gar nichts versteht, kommt er aufgeregt gelaufen. Er habe einen bis dato unbekannten Courbet entdeckt: eine Kuh von Courbet. Es wird schon der rechte Kitsch gewesen sein. Der Kunsthändler, bei dem er damals irgendwie katalogisierend beschäftigt war, wurde schließlich so wütend, daß er ihn vor die Tür gesetzt hat. Der Mann kam manchmal hierher und hat mir alles erzählt, aber jetzt bleibt er weg, weil er seinem Courbet-Entdecker nicht begegnen will.«
    Auch diese Blamage mußte noch ausgekramt werden, an der ich Schuld nur trug, wenn man die Begriffsstutzigkeit unter die Verbrechen zählt. Nie vergesse ich die steinerne Miene, die Guggisheim aufsetzte, als ich ihm bei seiner Rückkehr aus der Schweiz stolz berichtete, was ich in dem Kämmerchen hinter seinem Büro entdeckt hätte. Einen Courbet gab es nicht. Es hatte ihn nie gegeben. Ich halluzinierte. Es war eine Kopie, eine wertlose Kopie – da fand ich zu meiner Gewißheit zurück, ich Narr, um dem aufgebrachten Mann ins Gesicht zu widerstehen: Das müsse aber eine verdammt gute Kopie sein – auch ich war jetzt erregt und in meinem Stolz verletzt.
    Ich dränge die peinliche Geschichte meist erfolgreich weg. Sie berührt die Kehrseite der professionellen Beschäftigung mit der Kunst, das Hin- und Herschieben der Werke, das Verhehlen, manchmal auch das Hehlen, das Geldwaschen und Steuerhinterziehen. Guggisheim trat die Flucht nach vorn an, indem er mich, wo er konnte, schlechtmachte, was ich mir leider zum Teil selbst zuzuschreiben hatte – ich war mit meinen Reisekostenabrechnungen, gelinde gesagt, sehr großzügig gewesen; das war auch ein Grund, warum ich Wereschnikow erst einmal nichts in Rechnung stellte; als könne ich durch generöse Korrektheit beim nächsten Kunden die Versäumnisse beim vorhergehenden wettmachen.
    Aber bei allem bleibt doch die Erinnerung an die Freude übermächtig, das Glück, das ich empfand, als das Kalb riesengroß schwarzweiß gewölbten Leibes mit dem feuchten rosigen Maul vor lapislazuliblauem Himmel vor mir stand; es hing nicht in seinem

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