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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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übernommen hatte, als ich mich auf die anmutigen Gesetze der Gesetzlosigkeit, Winnies Atemluft, einließ. Ich redete mir auf dem Weg durch die Nacht offen ins Gewissen, daß ich auf dem Gebiet der Unschuld ohnehin mit Winnie nicht wetteifern konnte, daß ich aber auch der reife und gelassene Mann nicht sei, den sie erwarten durfte, wenn sie einen doch beträchtlich älteren an sich heranließ. Am nächsten Vormittag gingen Anrufe bei Winnie aber weiterhin ins Leere – gab es da am Ende gar die Möglichkeit, daß sie, die Nummer erkennend, ihr Telephon vor sich hin brummen ließ wie eine unter Glas gefangene Hummel?, ein Gedanke, den ich aber sogleich verbannte – Grausamkeit und Winnie, das schloß sich aus!
    Als ich den Garten Glücks betrat, von dem ich schon manches gehört hatte, fiel mein Blick zu meiner nicht geringen Verstimmung zunächst auf Rotzoff. Auf der weiten, von hohen Bäumen, darunter einer mächtigen Blutbuche, umgebenen Wiesenfläche, in ihrer Mitte, wie auf dem Silbertablett kredenzt, lag er bequem in einem Korbsessel, neben sich ein Tischchen mit Weißweinflasche im Eiskühler. Ich kannte schon seine Gewohnheit, tagsüber Weißwein mit Eiswürfeln zu trinken. Die Kälte anästhesiert die Kehle leicht und hilft den Widerwillen zurückdrängen, wenn im Körper noch der Wein der Nacht zuvor schwappt. Daß Rotzoff und Glück neuerdings öfters zusammen auftraten, war mir nicht entgangen, aber wie weit die Besitzergreifung schon gediehen war, das hatte ich mir natürlich nicht vorstellen können.
    Niemals war Glück in seinem eigenen Garten derart herrscherlich zugegen gewesen wie jetzt sein Gast, und Rotzoff war nicht allein. Um ihn herum saßen in großem Kreis mindestens zwölf Krähen und hielten die Schnäbel wie Kompaßnadeln auf ihn gerichtet. Eine sanfte Stimme in meinem Rücken ließ mich zusammenfahren. Winnie war aus dem Haus getreten, Glück folgte ihr, in Hemdsärmeln – das erste Mal, daß ich ihn ohne Krawatte und Anzug sah –, und hielt eine Flasche Weißwein in der Hand.
    »Du bist zurück? Zum Glück erfahre ich das«, kein Vorwurf klang in ihren Worten. Eine liebevolle Eindringlichkeit lag darin. Aber bevor ich ihr antworten konnte, schnitt sie mir mit einer Handbewegung das Wort ab.
    »Schau dir das an.«
    Die Krähen saßen nicht einfach um Rotzoff herum – sie lauschten. Er sprach zu ihnen sehr leise. Verstehen konnte ich auf diese Distanz nichts, bis auf ein »So ist das nämlich«, eine zart beschwörende Belehrung, die zu uns herüberflog. Krähen sind mir eigentlich zuwider, und ein Krähenschwarm wirkt auf mich geradezu unheilvoll bis zur Todesverkündung. Nie habe ich sie so schön gesehen. Auf der noch immer leicht betauten Wiese, wo die Wassertröpfchen an den Halmen wie kleine Blitze funkelten, erschien das Krähenschwarz in reicher Farbigkeit, lackglänzend und stumpf, in Kohle und Anthrazit. Der graue Samtkragen lag wie von Frans Hals gemalt um Hälse und Schultern, die Schnäbel erschienen wie Hornbüchsen für feingeschmiedete Präzisionsinstrumente. Eine einzelne Krähe schüttelte sich wie ein nasser Hund, die anderen rührten sich nicht. Und nun hüpfte die erste näher, mechanisch sah das aus, aber es war ein Zeichen noch größerer Zuwendung.
    »Bewegt euch nicht.«
    Winnie flüsterte, aber mir war, als ob die Krähen auch bei plötzlichem jähen Auffahren auf unserer Seite nicht aus dem Bann gewichen wären, in dem Rotzoff sie hielt. Eine Krähe breitete jetzt ihre Flügel aus, schlug die Luft mit nachlässigem Schwung, es galt nur für eine kleine Strecke, sie erhob sich taumelnd in die Höhe und ließ sich auf Rotzoffs Schulter nieder. Eine zweite Krähe hopste mehr als sie flog auf sein Knie. Er streckte die Hand aus, gemächlich, dabei in dem beschwörenden Belehrungston fortfahrend, und umfaßte den kleinen Krähenkopf vor ihm. Der Kopf wollte nichts anderes. Die Krähe streckte ihren Hackschnabel in die Höhe und bot Rotzoff ihren Nacken zum Kraulen dar. Zunächst glaubte ich noch, die Aasjäger fänden oder erhofften bei ihm etwas zu fressen, aber darum schien es keinesfalls zu gehen. Die Krähen wollten bei ihm sein. Wie machte er das?
    »Mit Elstern und Eichelhähern kann er das genauso.« Winnie sprach wie im Traum. Es war der Augenblick der enthüllenden Unfreiwilligkeit. Ich fragte, ebenso absichtslos, die Frage stieg mir auf die Lippen, wie die Krähe auf Rotzoffs Schulter geflattert war. »Wie lang kennt ihr euch?«
    »Schon länger,

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